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10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode
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was sie veranlaßt , hervorrufen. Lust und Unlust sind dadurch von Natur aus ( objektiv ) ausge-
zeichnet ; sie sind schon an und für sich etwas ganz Besonderes. ( Kraft 1951 , 57 )
Von den Gefühlen Lust und Unlust trennt Kraft die Affekte wie Angst , Zorn , Neid , Stolz ,
Hoffnung usw. als Quelle der Auszeichnung. Wenn auch nicht ausschließlich , so beru-
he die Auszeichnung von „Wertgebieten“ wie dem Theater , dem Kino , der Literatur und
Musik auf der Veranlassung von Affekten. ( Kraft 1937 , 78 ) Da Kraft die Ansicht , alle Aus-
zeichnung könne auf Lust und Unlust reduziert werden , für falsch hält , betont er , Ge-
fühlswirkungen würden nicht nur um der Lust willen gesucht , sondern um der Erregung
selbst willen. ( Kraft 1937 , 81 )
Für eine Auszeichnung könne desgleichen eine Trieb- bzw. Bedürfnisbefriedigung der
Grund sein. Was solche befriedigt , werde ausgezeichnet. Auf dieser Quelle beruhten viele
und wichtige Bewertungen : Eine positive Bewertung ergebe sich für alles , was dem Le-
benswillen entgegensteht oder was die allgemeinen organischen Bedürfnisse stillt , bei-
spielsweise das Nahrungsbedürfnis. Es gebe zudem ein Bedürfnis nach Neuem , nach ei-
ner Erweiterung der Kenntnisse davon , wie es in der Welt zugeht. ( Kraft 1937 , 110 )
Ebenso wie die Befriedigung von Trieben und Bedürfnissen sei die Befriedigung von
Begehren eine Quelle der Auszeichnung. Bei Begehren werden im Unterschied zu Trie-
ben und Bedürfnissen Ziele bewusst verfolgt. Das Begehren zeichne diese Ziele jedoch
nicht aus , sondern diese seien im Begehren bereits ausgezeichnet. Das Begehren zeichne
vielmehr die Mittel zur Herbeiführung des Verlangten oder zur Verhinderung dessen aus :
Was als Bedingung für die Erfüllung oder Nichterfüllung eines Verlanges bekannt , bewußt
ist , wird dadurch ausgezeichnet. ( Kraft 1937 , 123 )
Überdies wirke Gewohnheit auszeichnend , jedoch nur , sobald sie gestört werde. ( Kraft
1937 , 127 ) Besonders für soziale Auszeichnungen , zu denen die moralischen gehören , sei-
en sodann die übernommenen und die abgeleiteten Auszeichnungen von Interesse. Fremde
Wertungen würden nicht nur von Kindern durch Suggestion oder Nachahmung über-
nommen , sondern gleichfalls von Erwachsenen. Eine sachliche Ableitung erfolge wie-
derum durch eine Beziehung zu einem wertvollen Gegenstand ( z. B. die Haarlocke einer
Persönlichkeit ). Indes nicht zuletzt für die Moral besonders wichtig sei die logisch abge-
leitete Auszeichnung , bei der sich die Auszeichnung eines allgemeinen Prinzips auf alle
logischen Folgerungssätze überträgt. ( Kraft 1937 , 137 ) So weit die Ausführungen zum Zu-
standekommen von individuell-subjektiven Auszeichnungen. ( Kraft 1937 , 152 ) Kraft hat
jedoch einen umfassenderen Anspruch :
Auf die dargelegten Quellen der Auszeichnung müssen sich alle Auszeichnungen überhaupt
zurückführen lassen , aus ihnen müssen sich alle Werte ergeben , nicht nur die „niederen“ Wer-
te der vitalen Sphäre , sondern auch die „höchsten“ Kulturwerte , nicht nur die subjektiven ,
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441