Seite - 350 - in Ethik und Moral im Wiener Kreis - Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Bild der Seite - 350 -
Text der Seite - 350 -
10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung
350 Das Gefühl ist das Allersubjektivste , und daß darin absolute Wertqualitäten sich zeigen sol-
len , widerspricht seinem ganzen Wesen. ( Kraft 1950a , 93 )
Sowie :
In einer solchen Intuition dessen , was richtig ist , was gilt , spricht meist nichts anderes als
das , was durch Tradition und Erziehung selbstverständlich geworden ist. ( Kraft 1950a , 130 )
Werturteile drücken nach Kraft auch keine spezifischen Wertgefühle aus :
Und aus der Analyse des Wertcharakters ist wohl deutlich hervorgegangen , daß sich die
Werte nicht einfach auf spezifische Wertgefühle basieren lassen. Es gibt gar keine spezifi-
schen Wertgefühle als eine Sonderklasse von Gefühlen , in denen Werte intuitiv erfaßt wer-
den. ( Kraft 1951 , 72 )
Solche Positionen sind für Kraft völlig haltlos :
Die Erkenntnis absoluter Werte auf dem Weg emotionaler Intuition ist somit eine haltlose
Prätension. ( Kraft 1950a , 95 )
Ebenso lehnt Kraft naturalistische Positionen ab. Er distanziert sich ganz klar von allen
metaethischen Positionen , die alleine aus ( natürlichen ) Tatsachen moralische Werte oder
Normen ableiten zu können glauben :
denn aus Tatsachen lassen sich keine Werte und keine Normen ableiten ( Kraft 1950a , 87 ).
Krafts eigene Position ist zudem eine klare Absage an einen individualistischen reinen Ex-
pressivismus , der zwar durch Ayer besonders verbreitet und populär wurde , von Carnap
( teilweise ) geteilt , aber schon vorher von Philosophen wie Hägerström ( Ausdruck für be-
stimmte Wertschätzungserlebnisse ) etc. vertreten wurde.485 Für den individualistischen
reinen Expressivismus sind moralische Urteile bloß der Ausdruck von Stellungnahmen.
Nach Kraft sind jedoch Werturteile weder bloß der Ausdruck von Stellungnahmen noch
Berichte über Stellungnahmen. ( Kraft 1937 , 34 )
485 Ohne Schlick hier 1937 oder 1951 zu nennen. Bei Schlick ist zudem nicht klar , ob es sich um einen
psychologischen Hedonismus oder Eudämonismus handelt. 1953 wird Kraft in „Kritik des Eudai-
monismus“ klarstellen , er sehe es als natürliches Ziel von Lebewesen , nach Wohlergehen zu stre-
ben. Dieses Wohlergehen als der Zustand , in dem alle Ziele ( Lustziele und andere ) erfüllt sind , sei
mit der antiken Vorstellung von eudaimonia gleichzusetzen , nicht aber die Lusterfüllung oder das
Glück , die beide einen Zustand „gesteigerter Euphorie“ darstellten. Mit einem individuellen Eudä-
monismus ließe sich aber noch kein sozialer Eudämonismus begründen.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441