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10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode
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Wir lesen dort :
“Good” as used in morals , has a descriptive and an evaluative meaning , [ wobei er sogleich
hinzufügt : ] and the latter is primary. ( Hare 1952 , 146 )
Die deskriptive Komponente informiere darüber , dass das Objekt dem Standard ent-
spricht :
In virtue of its [ value-judgement ] descriptive meaning it informs the hearer that the object
conforms to the standard. ( Hare 1952 , 135 )
Die evaluative Komponente bezeichnet Hare allgemein als „commanding“, wobei hier
Vorsicht geboten ist , damit nicht die allgemeine Bedeutung mit einer speziellen Bedeu-
tung von „befehlen“ verwechselt wird. Eingeschlossen ist nämlich z. B. auch „einen Rat ge-
ben“. Und es gibt doch sehr wichtige Unterschiede zwischen „befehlen“ und „einen Rat ge-
ben“. Warum wird das in deontischen Sätzen versteckt ? Nehmen wir : „Es ist gesollt , dass
Du dem jungen Mann über die Straße hilfst.“ Hier kommt die deskriptive Komponen-
te , um die es geht , nicht vor. Es geht eben nicht um „du hilfst dem jungen Mann über die
Straße“. Die deskriptive Komponente liegt im Standard , in Bezug auf den sich das Sol-
len ergibt. Besser wäre es zu formulieren : „Es ist ( aufgrund von moralischen Standards )
gesollt , …“. Das moralische Sollen ist ein Sollen , das auf moralische Standards relativiert
ist. In der Gesamtbedeutung von „moralisch gesollt“ ist ein Standard eingeschlossen. Mo-
ralische Sollenssätze haben diese deskriptive Komponente. Wer den gemeinsamen Stan-
dard kennt , bekommt die Information , dass das , was er / sie tun solle , deshalb getan wer-
den soll , weil es diesem Standard entspricht.
Als Fazit lässt sich diesbezüglich ziehen : Zwischen Krafts und Hares Analyse bestehen
Gemeinsamkeiten , die jedoch nicht Hares Unterscheidung von Phrastik und Neustik in
jener Sprache betreffen , die Hare anstelle der Alltagssprache vorschlägt.
Soweit haben wir eine Analyse der moralischen Sprache , die auch in der Standardauf-
fassung logisch-empiristischer Ethik neben der empirischen Ethik als legitime Aufgabe
zählt. Wir haben jedoch hingegen der herkömmlichen Auffassung keinen umfassenden
Nonkognitivismus. Auch in der logischen Analyse bleibt somit mehr möglich als Aussa-
gen über die Bedeutung und Funktionsweise moralischer Urteile , in denen diese auf einer
nonkognitivistischen Basis rekonstruiert werden. Sie können einerseits auch in ihrer Funk-
tionsweise hinsichtlich des sachlichen Gehalts analysiert werden und andererseits können
sie in ihrem nonkognitiven Aspekt psychologisch erhellt werden. Kraft will jedoch in sei-
ner Ethik noch mehr leisten , nämlich eine Moralbegründung.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441