Seite - 392 - in Ethik und Moral im Wiener Kreis - Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Bild der Seite - 392 -
Text der Seite - 392 -
11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung
392 1. Wucher ist moralisch falsch.
2. 25 % Zinsen zu verlangen ist Wucher.
3. Die Person P verlangt 25 % Zinsen.
4. P’s Handlung ist Wucher.
5. Daher : P’s Handlung ist moralisch falsch.
Wir könnten weiterhin versuchen , Prämisse 1 noch von einem allgemeineren Prinzip ab-
zuleiten , z. B. einem Prinzip der Gerechtigkeit.
Reasoning in matters of morality utilizes , as any reasoning must , principles of deductive in-
ference when special cases are subsumed under general ( in this case , moral ) rules. And in any
practical issue of moral choice , inductive inference is indispensable for the determination of
the most likely consequences of actions. ( Feigl 1952 [ 1981 , 385 ])
Irgendwann kommt dieses Begründungsvorgehen jedoch an sein Ende. Weiter als bis zu
den Grundnormen reicht diese Art der logischen Gültigkeitsüberprüfung nicht ( Feigl
1950 [ 1981 , 256 ] u. Feigl 1952 [ 1981 , 386 ]), obwohl es diese Grundnormen sind , die als
grundgelegte Standards die moralischen Ausdrücke „richtig“, „falsch“, „gesollt“ in einem
moralischen System definieren. Sich auf diese zu beziehen , ist für moralische Kritik hin-
reichend , und eine solche ist nur innerhalb eines derartigen Rahmens möglich :
Moral criticism makes sense only within the frame of a set of basic moral standards. ( Feigl
1950 [ 1981 , 257 ])
Moral ist ein System von Normen , das Kritik und Rechtfertigung ermöglicht. ( Feigl 1950
[ 1981 , 258 ]) Innerhalb des Systems haben diese begründenden Prinzipien ( bei einer logi-
schen Rekonstruktion ) den Status von Stipulationen , Definitionen oder Konventionen.
Als solche sind sie analytisch und a priori. ( Feigl 1950 [ 1981 , 261 ])
Wer hingegen nicht nur moralisch kritisieren will , sondern ein Moralsystem als solches
kritisieren will , muss auf ein anderes Verfahren setzen. Dieses Verfahren sei eine pragma-
tisch-instrumentelle Begründung ( vindication , justificatio actionis ). Diese Art der Be-
gründung bezieht sich auf erstrebte Ziele oder pragmatische Überlegungen :
It consists in showing that adoption of the norms of a given moral system fulfills a pur pose.
( Feigl 1950 [ 1981 , 258 ])
Die moralischen Grundnormen werden in einer pragmatischen Begründung insofern be-
gründet , als ihre Akzeptanz als Mittel zu einem angestrebten Ziel ( Zweck ) dient. Wie
sich Feigl dies im Falle der Moral vorstellt , darauf werde ich unten zurückkommen. Schon
jetzt können wir jedoch mit Feigl zusammenfassen :
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441