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12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen
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lische Sätze drückten nur eine gefühls- oder willensmäßige individuelle Haltung aus. ( 2 )
Ausdrucksmittel ohne jeglichen Gegenstandsbezug seien für den Ausdruck dieser Hal-
tungen am besten geeignet. ( 3 ) Moralische Sätze könnten in keinem Begründungsverhält-
nis zueinander stehen. Hinsichtlich der moralischen Grundwerte findet sich bei Carnap
ein individualistischer erkenntnistheoretischer Dezisionismus , der zu den nonkognitivis-
tischen Positionen zählt. Carnaps metaethische Position deckt sich in diesem Punkt mit
der Standardauffassung. Carnap war jedoch niemals der Meinung , moralische Wert- und
Normsätze drückten nur momentane Launen aus.
Auch bei Menger , der an metaethischen Fragen kein besonderes Interesse zeigte , gel-
ten Normen als verkappte Imperative. Als solche seien sie weder wahr noch falsch. In Be-
zug auf moralische Normen haben wird es demnach bei Menger mit einem engen seman-
tischen Non kognitivismus zu tun. Wie bei Carnap liegt bei ihm eine Kombination aus
Expressivismus und Präskriptivismus vor. Im Unterschied zu Carnap und der Standard-
auffassung logisch-empiristischer Ethik will Menger jedoch weder von der Sinnlosigkeit
noch von der Sinnhaftigkeit von Normen oder Werturteilen sprechen. Diesen Diskussio-
nen im Wiener Kreis stand er reserviert gegenüber. Er war zudem bereits 1934 ausdrück-
lich davon überzeugt , Imperative könnten logische Beziehungen zueinander eingehen
und seien der Behandlung durch logisch-mathe matische Verfahren zugänglich. Welche
Möglichkeiten diesbezüglich bestanden , bildet den Hauptteil seines Werkes Moral , Wil-
le und Weltgestaltung ( 1934 ). Intersubjektive Urteile , die auf ein Normensystem relativiert
sind , stellen für Menger kein Problem dar. Insofern sind auch Verständigung und diskur-
sive Auseinandersetzungen möglich. Wir können deshalb von einem systemimmanenten
Kognitivismus sprechen. Lediglich eine Verankerung des individuell oder gemeinsam ge-
wählten Systems außerhalb des individuellen Willens ist nicht möglich. Menger ist somit
ein fundamentaler Nonkognitivist. Vehement distanziert er sich wie alle der untersuchten
Mitglieder vom ethischen Intuitionismus.
Insofern moralische Grundsätze für Frank nicht Selbstzweck sind , sondern der Reali-
sierung einer gemeinsam gewünschten Lebensweise dienen , können sie daraufhin geprüft
werden , ob sie diese Funktion auch erfüllen. Wenn sie es tun , seien es richtige Grundsät-
ze , wenn nicht , falsche. Für Frank geht es in der Moral um das Glück und das Leid der
Menschen , und zwar zumindest um die Verhinderung von unnötigem Leid. Ein Grund-
satz , der offenbar unnötiges Leid über die Menschheit bringe , sei deshalb ein falscher
Grundsatz. Seine Falschheit könne am Leid , das er verursacht , erkannt werden. ( Frank
1950 [ 1952 , 94 f. ]) Wir finden bei Frank also einen erkenntnistheoretischen systemimma-
nenten Kognitivismus.
Bei Schlick und Kraft kommt in der Bedeutung moralischer Werturteilssätze in den
moralischen Ausdrücken eine zusätzliche deskriptive Komponente hinzu. In ihr wird nicht
der zu beurteilende Gegenstand beschrieben , wie im Phrastikon von Hare , sondern es wird
das Vorliegen des Beurteilungskriteriums behauptet und somit der Grund genannt , war-
um etwas als moralisch gesollt / gut zu beurteilen sei. Schlick unterscheidet in der Bedeu-
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441