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2. Terminologische Klärungen
46 enger semantischer Kognitivist sein. Expressivistinnen und Expressivisten verneinen wie
Präskriptivistinnen und Präskriptivisten den engen semantischen Kognitivismus und ver-
treten die These des engen semantischen Non-Kognitivismus :
These des engen semantischen Non-Kognitivismus : Moralische Sätze sind nicht Träger der
Wahrheitswerte wahr / falsch im üblichen Sinne.
Dabei wird üblicherweise darauf verwiesen , dass es beim Ausdruck von Emotionen
oder bei der Äußerung von Befehlen nicht um wahr oder falsch gehe.
Dennoch können auch reine Expressivistinnen und Expressivisten sowie reine Prä-
skriptivistinnen und Präskriptivisten unter Umständen einen weiten semantischen Kog-
nitivismus vertreten. Von einem weiten semantischen Kognitivismus werde ich sprechen ,
wenn moralische Sätze nicht als Wahrheitsträger gesehen werden , aber als „diskursfähig“.
Ich werde dies in Anlehnung an Pauer-Studer ( 2010 , 194 ) so formulieren :
These des weiten semantischen Kognitivismus : Die Richtigkeit oder Gültigkeit morali-
scher Sätze kann argumentativ bestimmt werden.
Jede argumentative Ethik setzt einen solchen weiten semantischen Kognitivismus vor-
aus und kommt dem Sprachgebrauch westlicher Moralen und Ethiken näher als der Non-
kognitivismus :
Wir diskutieren über moralische Fragen mit dem Anspruch , etwas kognitiv Gehaltvolles
zu sagen. Wir bemühen uns um begründete Meinungen und Standpunkte , und wir wissen ,
dass wir gute Gründe brauchen , um unsere Positionen anderen gegenüber rechtfertigen zu
können. Wir verstehen moralische Kontroversen – sei es um die Zulässigkeit oder Nichtzu-
lässigkeit der aktiven Sterbehilfe , der Vertretbarkeit der medizinischen Forschung an emb-
ryonalen Stammzellen , der Legitimität oder fehlenden Legitimität einer humanitären Inter-
vention oder gar eines Krieges
– als Debatten über Positionen , die haltbar oder nicht haltbar ,
die richtig oder falsch sind. ( Pauer-Studer 2010 , 197 )
Ein weiter semantischer Kognitivismus ist auch möglich , wenn Deskriptivismus , Expres-
sivismus oder Präskriptivismus nicht in ihrer reinen ( ausschließlichen ) Form vertreten
werden. Sodann ergibt sich eine Menge von möglichen komplexen Theorien , bei denen es
sich um Mehr-Komponenten-Theorien handelt :
These der Mehr-Komponenten-Theorie : Moralische Sätze haben mindestens zwei der
folgenden Bedeutungen : deskriptive und / oder expressive und / oder präskriptive Bedeu-
tung.40
40 Nach dieser Terminologie handelt es sich bei Hares Position ( Hare 1952 ) nicht um einen reinen Prä-
skriptivismus ( in der Variante eines universellen Präskriptivismus ), sondern um eine Mehr-Kompo-
nenten-Theorie. Ebenso bei der Theorie von Stevenson 1944. Entsprechendes gilt für Ridge 2006 : In
fundamentalen moralischen Sätzen wird ( 1 ) sowohl beschrieben , dass dem Urteilsgegenstand eine Ei-
genschaft zukommt oder nicht zukommt , als auch ( 2 ) die Anerkennung oder Ablehnung dieser Ei-
genschaft ausgedrückt. ( Nach van Roojen 2009 , 2.1 )
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441