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9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre
282 bietet die Möglichkeit , die Moral und Ethik mit der Biologie oder vielmehr sogar mit al-
len Naturwissenschaften zu verbinden. Des Weiteren ist die Berufung auf die Evolution
eine autoritative Unterstützung. Die ganze , umfassende natürliche Entwicklung scheint
hinter Schlicks hedonistischem bzw. eudä monistischem Ideal zu stehen. Darwins Theorie
macht attraktiv , dass sie mit der Vereinheitlichung zugleich eine Verwissenschaftlichung
anbot. Insbesonders für die Ethik sei ein solches Programm der Verwissenschaftlichung
von großem Reiz. ( Bayertz 1993b , 14 ) Schlick wollte in der Lebensweisheit zeigen , dass die
Ethik mit den Erkenntnissen der Evolutionslehre , die er als wissenschaftliche und nicht
spekulative Aussagen auffasste , vereinbar sei. Am wichtigsten erscheint mir jedoch folgen-
der Punkt : Eine oben zitierte Stelle hatte begonnen :
[ … ] es kann kein Zweifel sein , daß die Evolution in rastloser Unermüdlichkeit dahin zielt ,
die Menschen , wie überhaupt alles Lebendige , zu glücklicheren Wesen zu machen.
Diese lautet weiter :
Dies ist seit Darwin der fröhliche Optimismus der Wissenschaft , [ … ]. ( Schlick 1908 , 56 )
Für Schlick fungiert die Berufung darauf , die Evolution habe glücklichere Wesen zum
schaft : Ich habe ein großes Ideal , aZiel und in ihr zeige sich ethischer Fortschritt , als
Ausdruck eines ungeheuren Optimismus , den er dennoch für realistisch hält. Verein-
facht ausgedrückt lautet Schlicks Botber die Welt umfassende Evolution arbeitet selbst
daran und teilt mein Ziel.
Bevor ich noch einmal auf die Liebe als höchste soziale Tugend zurückkomme , will ich
das Thema Evolution mit einem Ausblick auf sein Schicksal im weiteren ethischen Werk
Schlicks abschließen.
9.2.2.4 Evolution im weiteren ethischen Werk
In den 1930 veröffentlichten Fragen ist von Evolution nur mehr am Rande die Rede. Zu-
mindest , was sein veröffentlichtes Werk anbelangt , hat Schlick irgendwann zwischen der
Lebensweisheit und den Fragen den expliziten Bezug zwischen Evolution und Ethik auf-
gegeben. Wann und warum fand dieser Wandel statt ? Dem Nachlass lässt sich soweit ent-
nehmen , dass Schlick Spencer , in dessen Ethik die Evolution eine prominente Rolle spielt ,
noch ausführlich in einem Vorlesungsmanuskript von 1912 mit dem Titel „Die Philoso-
lebnisse anzuregen. Die Bereicherung des Erlebens ist ihm im Vergleich zur Erkenntnis die höhere
Aufgabe. ( Schlick 1926 [ 2008 , 40 f. ]) Man muss weder Rickerts Sicht objektiver Werte noch seinen
spezifischen Wertekanon teilen , um seiner Ergänzung der generalisierenden empirischen Wissen-
schaften durch wertbezogene , aber nicht wertende ( ! ), empirische Wissenschaften , denen es um die
Darstellung des Besonderen geht , für angemessen zu halten. Zu Rickert siehe auch das Carnap-Ka-
pitel und das Neurath-Kapitel der vorliegenden Untersuchung.
Ethik und Moral im Wiener Kreis
Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ethik und Moral im Wiener Kreis
- Untertitel
- Zur Geschichte eines engagierten Humanismus
- Autor
- Annemarie Siegetsleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79533-9
- Abmessungen
- 16.9 x 23.9 cm
- Seiten
- 450
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 13
- 2. Terminologische Klärungen 37
- 3. Moral und Ethik im Wiener Kreis und die Standardauffassung logisch- empiristischer Ethik 52
- 4. Das kulturelle Umfeld des politischen und moralischen Engagements 67
- 5. Rudolf Carnap : Individualistischer Dezisionismus und wissenschaftlicher Humanismus 89
- 5.1 Einleitung 89
- 5.2 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik vor der Wiener-Kreis-Periode 92
- 5.3 Carnaps Konzeption von Moral und Ethik in der Wiener-Kreis-Periode 111
- 5.3.1 Der logische Aufbau der Welt ( 1928a ) und die Konstitution von Werten 111
- 5.3.2 Scheinprobleme in der Philosophie ( 1928b ) 120
- 5.3.3 „Wissenschaft und Leben“ ( 1929b ) 123
- 5.3.4 „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“ ( 1931/32 ) 129
- 5.3.5 „Theoretische Fragen und praktische Entscheidungen“ ( 1934a ) 133
- 5.3.6 Philosophy and Logical Syntax ( 1935 ) 136
- 5. 3. 7 Carnaps moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 138
- 5.3.8 Carnaps individualistischer Dezisionismus und die Lebenspraxis 141
- 5.3.9 Möglichkeiten und Grenzen der Ethik 148
- 5.4 Spätphase : Optative 149
- 5.5 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 160
- 6. Karl Menger : Mathematische Modelle für ein verträgliches Zusammenleben 163
- 6.1 Einleitung 163
- 6.2 Mengers Logik der Sitten 168
- 6.3 Mengers Moralauffassung 177
- 6.3.1 Moral 1. und 2. Stufe , Basismoralen 177
- 6.3.2 Sinn und Zweck der / einer Moral 177
- 6.3.3 Kritik am Kategorischen Imperativ 179
- 6.3.4 Mengers Konzeption der Moralsprache : Semantischer Nonkognitivismus 180
- 6.3.5 Moralische Erkenntnis : Fundamentaler Nonkognitivismus und systemimmanenter Kognitivismus 182
- 6.4 Mengers Ethikverständnis 186
- 6.5 Menger und die Angewandte Ethik 193
- 6.6 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 194
- 7. Otto Neurath : Moral auf der Grundlage gemeinsam beschlossener humanistischer Lebensgrundsätze und Ethik in der Einheitswissenschaft 196
- 8. Philipp Frank : Pragmatische Ethik und relativierte Moral 251
- 9. Moritz Schlick : Eudämonistische Ethik als Weisheitslehre 265
- 10. Victor Kraft : Zwei-Komponenten-Kognitivismus und rationale Moralbegründung 332
- 10.1 Einleitung 332
- 10.2 Krafts moralische und ethische Auffassungen in der Wiener-Kreis-Periode 337
- 10.3 Krafts moralische und ethische Auffassungen nach der Wiener-Kreis-Periode 371
- 10.3.1 Moralbegründung auf Grundlage der Kultur : Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre , 2. Auflage ( 1951 ) 371
- 10.3.2 Moralbegründung auf Grundlage natürlicher Ziele : Rationale Moralbegründung ( 1963 ) 374
- 10.3.3 Moralbegründung auf der Grundlage primärer Strebensziele : Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral ( 1968 ) 377
- 10.4 Zusammenfassung und Schlussbemerkungen 383
- 11. Herbert Feigl : Pragmatische Moralbegründung 387
- 12. Systematische Zusammenfassung und allgemeine Schlussbemerkungen 402
- 12.1 Mangelndes Interesse an Moral als Menschen und Bürgerinnen oder Bürger 402
- 12.2 Geteilte moralische Haltung : wissenschaftlicher Humanismus 403
- 12.3 Differenzierungen in den Moralkonzeptionen 404
- 12.4 Differenzierungen in den Ethikkonzeptionen 409
- 12.5 Ausblick auf zukünftige Forschung 412
- 12.6 Allgemeine Schlussbemerkungen 413
- Literatur 417
- Abkürzungen 440
- Bildquellennachweis 440
- Personenregister 441