Seite - 194 - in Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten - Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
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194 wir fortgehen, verlieren wir Gott.‘Ob sie das auch der Lehrerin erklärt habe?’ ‚Nein.‘
‚Warum nicht?‘ ‚Weil –. Ja, sie denkt, Gott ist eine Person. Wenn ich es ihr gesagt
hätte, hätte sie wieder mal so komisch gelächelt.‘ ‚Inwiefern komisch?‘ ‚Wenn sie so
lächelt, dann heißt das, daß wir zwar niedlich sind, aber dumm. Daß wir anders sind
und alles falsch sehen.‘[…].“732
In diesen Situationen wird deutlich, dass dieses Hopi-Mädchen, das was es sich denkt,
aus der Schule ausklammert und erst zu Hause erzählt, was es beschäftigt. Die Kultur
der Schule, die dem Kind im Artefakt des „komischen Lächelns“ deutlich wird und das
davon ausgehend auf den dahinterliegenden Wert und dessen Basisannahmen („wir sind
zwar niedlich, aber dumm“, „dass wir anders sind und alles falsch sehen“, „die wol-
len nicht hören, was wir sagen“) schließt. In einer Organisation, in der das Kind genau
davon ausgeht, ist es nicht verwunderlich, wenn es nichts erzählt, was es beschäftigt.
Es stellt sich somit die Frage, welche Maßnahmen positive Veränderungen bewirken
können, damit sich jedes Kind in der je eigenen Individualität im Kindergarten aner-
kannt fühlt und diesen als eine Organisation erfährt, in welcher den Themen, die es
beschäftigen, ein anerkannter Raum zukommt. Unter Berücksichtigung der Bedeutung
der Organisation und der Organisationskultur scheint die Entwicklung elementarer
Bildungseinrichtungen notwendig zu sein, um zu einer Organisation und einer Organisa-
tionskultur beizutragen, die einen Raum der Anerkennung religiöser Differenz eröffnet.
2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung
religiöser Differenz
In den Kindergärten zeigt sich aufgrund der Dominanz der jeweils größeren Reli-
gion eine organisationale Benachteiligung der Kinder der kleineren Religionen. Dem
gilt es entgegenzuwirken und den Kindern einen Raum zur Verfügung zu stellen, in
dem die Kinder ihre Religion oder ihre religiösen Einstellungen thematisieren können.
Das Vorgehen in den Kindergärten, in denen die jeweils größere Religion bevorzugt
wird, kann als Diskriminierung733 gesehen werden, da Kinder der größeren Religionen
verglichen mit den Kindern der kleineren Religionen unterschiedliche Möglichkeiten
der Zugehörigkeit und der religiösen Bildung zur Verfügung gestellt werden. Dieser
732 Ebd., 322f. Hervorhebungen durch die Autorin.
733 Nach dem Wiener Antidiskriminierungsgesetz ist unmittelbare und mittelbare Diskrimi-
nierung und Belästigung „von natürlichen Personen aus Gründen der ethnischen Zugehö-
rigkeit, der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen
Orientierung, der Geschlechtsidentität und des Geschlechts, insbesondere auch auf Grund
von Schwangerschaft und Elternschaft, sowie die Anstiftung einer Person zu solchen Dis-
kriminierungen verboten. […]“ (Gesetz zur Bekämpfung von Diskriminierung (Wiener
Antidiskriminierungsgesetz), Paragraph 2, Magistrat der Stadt Wien: http://www.wien.
gv.at/recht/landesrecht-wien/rechtsvorschriften/html/i5000000.htm [21.07.2015]).
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Titel
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Untertitel
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Autor
- Helena Stockinger
- Verlag
- Waxmann Verlag GmbH
- Ort
- Münster
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Abmessungen
- 16.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 280
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279