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36 „Wenn durch die Pluralität Selbstverständlichkeiten bis auf ihre Wurzeln hinterfragt
sind, erweisen sich neue Forderungen nach Einheit und Verbindlichkeit meist erfolglos.
Die Pluralität zwingt dazu, sich mit ihr zu beschäftigen und sich auf sie einzulassen,
sich an ihr abzuarbeiten und durch sie hindurch zu Vereinbarungen zu kommen, ohne
die das (Zusammen-) Leben nicht funktionieren kann.“139
In einer Situation, in der Pluralität gegeben ist, tritt Differenz auf. Differenz geht jeder
Beziehung voraus und erst durch das Anderssein des Anderen ist Beziehung ermög-
licht.140
„In ein Gespräch einzutreten, bedeutet, seine einmalige, aus Widerfahrnissen und Ent-
scheidungen entstandene individuelle Geschichte und unverwechselbare Identität mit
einzubringen, zugleich die Einmaligkeit des anderen wahrzunehmen und anzuerkennen
und in dieser Situation ein gemeinsames Verständnis sowohl über zu unterscheidende
Erfahrungen wie über Perspektiven möglichen gemeinsamen Handelns zu finden.
Bildung als die Fähigkeit, auf einem bestimmten Niveau zu sich selbst und zu einem
Konsens mit anderen zu kommen, ist nur möglich als Bewußtsein und Zugeständnis
von Differenz. Bildung ist Bewußtsein von Differenz.“141
Dass Pluralität als gegeben zu betrachten ist, findet wiederum in Differenz ihren Aus-
druck, „Pluralität ist in ihrem Kern Differenz“.142 Pluralität und Differenz bedingen
sich gegenseitig und sind aufeinander verwiesen. „Pluralität respektiert nur, wer Dif-
ferenz wahrnimmt […].“143
Paul Mecheril und Melanie Plößer bezeichnen die „Frage des gesellschaftlichen
Umgangs mit Differenz und Identität“ als eine der „wichtigsten Themen politischer
Auseinandersetzung und sozialtheoretischer Reflexion der Gegenwart“.144
„Die Entdeckung der Differenz ist ein Topos, der in der Pädagogik in vielfältiger
Hinsicht relevant ist. Besonders unter Bedingungen des wissensgesellschaftlich
beschleunigten Zerfalls der Gültigkeit von Wissen und einer Pluralisierung von
139 Ziebertz, Hans-Georg (2002): Grenzen des Säkularisierungstheorems. In: Schweitzer,
Friedrich/Englert, Rudolf/Schwab, Ulrich/Ziebertz, Hans-Georg: Entwurf einer plurali-
tätsfähigen Religionspädagogik, 51–85, 53.
140 Beispielhaft zeigt sich dies in der engen Beziehung zwischen einem Elternteil und einem
kleinen Kind trotz deren Differenz. Prengel, Annedore (2006): Pädagogik der Vielfalt, 57.
141 Peukert, Helmut (1984): Über die Zukunft der Bildung. In: Dirks, Walter/Kogon, Eugen
(Hg.): Nach 1984: Die Krise der Zivilisation und unserer Zukunft. Frankfurter Hefte
extra 6, 129–137, 134.
142 Nipkow, Karl Ernst (1998): Bildung in einer pluralen Welt, Bd. 1. Moralpädagogik im
Pluralismus. Gütersloh: Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, 176.
143 Nipkow, Karl Ernst (1998): Bildung in einer pluralen Welt, Bd. 2. Religionspädagogik im
Pluralismus. Gütersloh: Chr. Kaiser/Gütersloher Verlagshaus, 106.
144 Mecheril, Paul/Plößer, Melanie (2009): Differenz. In: Andresen, Sabine/Casale, Rita/
Gabriel, Thomas/Horlacher, Rebekka/Larcher Klee, Sabina/Oelkers, Jürgen (Hg.): Hand-
wörterbuch Erziehungswissenschaft. Weinheim/Basel: Beltz, 194–208, 194.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Titel
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Untertitel
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Autor
- Helena Stockinger
- Verlag
- Waxmann Verlag GmbH
- Ort
- Münster
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Abmessungen
- 16.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 280
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279