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112 Kinder sind von ihren Erlebnissen beeinflusst und beziehen sich auf sinnlich
wahrnehmbare Unterschiede,540 weshalb der Zeitpunkt des Gesprächs in direktem
Anschluss an ein Erlebnis der Kinder gegeben ist, sodass eine gemeinsame Erfahrung
die Ausgangsbasis für die Gespräche mit den Kindern bildet. Diese gemeinsame
Ausgangsbasis sind Ausdrucks- und Lebensformen der Religion, die in der Erfah-
rungswelt der Kinder liegen und die diese miterleben.541 Die von der Forscherin initi-
ierten Gruppendiskussionen werden formal geleitet, damit die Kinder die Möglichkeit
haben, miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Kinder werden aufgefordert, über
die erlebte Situation zu erzählen. Durch diese freie Erzählung der Kinder, die nicht
durch mitgebrachte Gegenstände oder einen bewusst gesetzten Impuls beeinflusst
wird, zeigt sich, was Kinder als relevant zu erzählen finden.Wenn das Gespräch in eine
Richtung verläuft, die von der Forschungsfrage stark abweicht, der Gesprächsverlauf
stockt oder religiöse Differenz von den Kindern nicht thematisiert wird, erfolgt eine
thematische Steuerung, indem die Forscherin offene Fragen stellt.542 Wenn Fragen
gestellt werden, erfolgt dies anhand eines Leitfadens,543 der auf die jeweilige Situa-
tion flexibel angepasst und nicht rigide befolgt wird, und von dem nur diejenigen
Fragen thematisiert werden, die von den Kindern nicht bereits im Vorfeld beantwortet
wurden. Falls Kinder im Laufe der Diskussion Fragen stellen, wird diesen besondere
Aufmerksamkeit geschenkt. Um die Diskussion nicht auf die kognitive Ebene zu
beschränken, werden verschiedene Methoden angewendet, die situationsadäquat
eingesetzt werden. So wird in einigen Gruppendiskussionen mit einer Handpuppe
gearbeitet, um die Hierarchie zwischen der Pädagogin und den Kindern zu reduzie-
ren, indem die Handpuppe als Zwischenglied fungiert.544 Auch werden im Laufe der
Gruppendiskussion Zeichnungen angefertigt, Lieder gesungen oder mit einer kleinen
540 Vgl. McKenna, Ursula/Ipgrave, Julia/Jackson, Robert (2008): Inter Faith Dialogue by
Email in Primary Schools; Elkind, David (1964): Age changes in the meaning of religious
identity. Review of Religious Research 6(1), 36–40.
541 Religion kann nicht auf diese beschränkt werden, allerdings wird dieser Ansatz gewählt,
um mit Kindern ins Gespräch zu kommen.
542 Vgl. Kapitel „Gruppendiskussion“ (Teil III, 6.2).
543 Fragen, die im Leitfaden vorkommen und an die Situation angepasst werden: Welches
Fest wurde gefeiert?, Was wird bei dem Fest gefeiert?, Wie habt ihr das Fest gefeiert?,
Wer hat bei dem Fest mitgefeiert?, Wer hat beim Fest nicht mitgefeiert?, Warum habt ihr
das Fest gefeiert?, Warum haben manche nicht mitgefeiert?, Was hat euch bei dem Fest
gefallen?, Was hat euch nicht gefallen?, Was ist bei dem Fest besonders wichtig?, Was
macht ihr im Koranunterricht?, Wer geht in den Koranunterricht?, Wer geht nicht in den
Koranunterricht?, Warum geht ihr in den Koranunterricht?, Warum geht ihr nicht in den
Koranunterricht?, Warum gehen nicht alle in den Koranunterricht?.
544 So wird im Anschluss an ein Fest von der Forscherin thematisiert, dass heute ein Freund
von ihr dabei ist, der sich für das Fest interessiert, und die Frage gestellt, ob die Kinder
dem Freund etwas über das Fest erzählen möchten. Die Handpuppe wird vorgestellt und
die Kinder werden von dieser begrüßt und am Ende der Diskussion bedankt und verab-
schiedet sich die Puppe.
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Titel
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Untertitel
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Autor
- Helena Stockinger
- Verlag
- Waxmann Verlag GmbH
- Ort
- Münster
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Abmessungen
- 16.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 280
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279