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ferenzen und in den Pädagogiken der Differenz kritisierten Praxen der Ausblendung
von Differenz“ deutlich machen, „dass die Berücksichtigung und Anerkennung von
Differenz erforderlich ist.“759
„Eine auf Differenz und Vielfalt bezogene Pädagogik hat es mit Dilemmata zu tun.
Bildungsprozesse in einem von Differenzen präformierten Kontext (re-)produzieren
Ungleichheiten, wenn diese Differenzen nicht erkannt und anerkannt werden. Auf der
anderen Seite reproduziert die Anerkennung von Unterschieden in einer doppelten
Weise Machtverhältnisse: Die Anerkennung der anderen (z. B. die Anerkennung
schwuler oder lesbischer Lebensformen) anerkennt sie als andere, die sie nur in einer
hierarchischen Ordnung (z. B. Heterosexismus) werden konnten, wodurch paradoxer-
weise diese hegemoniale Ordnung bekräftigt und bestätigt wird. Anerkennung geht als
Praxis der Identifikation zudem immer mit dem Problem der Festlegung einher; sie ist
ein Medium der Selbst- und Fremd-Identifizierung, der ein Moment der klassifizieren-
den Gewalt innewohnt.“760
Dieses Dilemma
„ist konstitutiv für den Zusammenhang von Differenz und Pädagogik. Insofern geht
es mit Bezug auf das Verhältnis von Differenz und Pädagogik nicht um die Frage:
‚Differenz: ja oder nein‘, sondern um eine erfahrungsbezogene Reflexion darauf, wie
Differenzen pädagogisch so thematisiert werden, dass als Konsequenz dieser Themati-
sierung weniger Macht über andere erforderlich ist.“761
Vor diesem Hintergrund und den Ergebnissen der Untersuchung, die verdeutlichen,
dass religiöse Differenz im Kindergarten erkennbar sein kann,762 stellt sich die Frage,
tätslogiken aus dichotom und oppositionell strukturierten Differenzschemata. Zugleich
sensibilisieren sie für die mit jeder Differenzsetzung einhergehenden Festschreibung
und motivieren zu einem kritisch-reflexiven Umgang mit den eigenen (pädagogischen)
Handlungen, Normen und Regeln, insofern mit diesen immer auch gängige Ordnungen
fortgeschrieben und Ausschlüsse produziert werden […].“ So ermöglichen dekonstruktive
Strategien einerseits „die Infragestellung des binären Rahmens der Differenz, indem sie
sowohl dessen Gewaltcharakter aufzeigen und den als anders, unnormal, unbestimmbar
oder unlebbar geltenden Lebensformen ‚zu ihrem Recht‘ verhelfen. Andererseits drohen
mit den Forderungen nach Vervielfältigung, Unbestimmbarkeit und Verflüssigung solche
alltagsweltlichen Selbstverständnisse von Individuen negiert zu werden, die sich mit
der Behauptung einer ihnen wesentlichen Identität als ‚Frau‘, ‚Schwuler‘ oder ‚Türke‘
nicht dem neuen fluiden Identitätsideal fügen.“ (Mecheril, Paul/Plößer, Melanie (2009):
Differenz. In: Andresen, Sabine u. a. (Hg.): Handwörterbuch Erziehungswissenschaft,
194–208, 202–205).
759 Mecheril, Paul/Plößer, Melanie (2009): Differenz. In: Andresen, Sabine u. a. (Hg.): Hand-
wörterbuch Erziehungswissenschaft, 194–208, 205.
760 Ebd., 206.
761 Ebd.
762 Vgl. Kapitel „Erkennbare Elemente religiöser Differenz“ (TeilV, 4.1.2).
Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Titel
- Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten
- Untertitel
- Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft
- Autor
- Helena Stockinger
- Verlag
- Waxmann Verlag GmbH
- Ort
- Münster
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8309-8648-5
- Abmessungen
- 16.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 280
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 11
- Teil I: Theoretische Grundlagen und Begriffsklärungen 12
- 1. Praktisch-theologische Herangehensweise 12
- 2. Ausgangslage der Forschung 14
- 3. Das Recht der Kinder auf Differenz 16
- 4. Chancen und Herausforderungen der Religionspädagogik 17
- 5. Religiöse Differenz in elementaren Bildungseinrichtungen 18
- 6. Begriffliche Klärungen 20
- Teil II: Forschungsstand 41
- 1. Forschungsergebnisse zum Umgang mit religiöser Differenz 41
- 1.1 Ausgewählte Studien mit Kindern im Grundschulalter 42
- 1.2 Empirische Studien mit Kindern in der Elementarpädagogik 46
- 1.2.1 Eva Hoffmann: Interreligiöses Lernen im Kindergarten? 46
- 1.2.2 Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger, Anke Edelbrock: Tübinger Projekte 48
- 1.2.3 David Elkind: Erforschung der Glaubensentwicklung 52
- 1.2.4 Ina ter Avest: Erfahrungen im Umgang mit dem Anderen 53
- 1.2.5 Daniel Bar-Tal: Konzept eines „Arabers“ in Israel 54
- 1.2.6 Paul Connolly et al.: Einstellung gegenüber Gruppen in Nordirland 55
- 1.3 Zusammenfassung der Forschungsergebnisse 58
- 2. Forschungsfrage 60
- 3. Anliegen der Studie 60
- 4. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse 62
- 5. Möglichkeiten und Grenzen der Kindheitsforschung 67
- Teil III: Methodologische Zugänge der Studie 81
- 1. Qualitativ-empirische Forschung 81
- 2. Ethnographischer Zugang 89
- 3. Grounded Theory 90
- 4. Thematisches Kodieren nach Uwe Flick 94
- 5. Begründung der Forschungszugänge 96
- 6. Überblick über die angewendeten Methoden 98
- Teil IV: Untersuchungsdesign und durchführung 108
- 1. Angewendete Methoden bei der Untersuchung 108
- 2. Auswahl der Kindergärten 114
- 3. Untersuchungsdurchführung 117
- 4. Reflexion der Untersuchungsdurchführung 121
- Teil V: Auswertung 124
- 1. Hinweise zur Auswertung in der vorliegenden Studie 124
- 2. Darstellung der Kindergärten 125
- 3. Kurze Fallbeschreibungen 133
- 4. Datenauswertung 149
- Teil VI: Diskussion 183
- 1. Der Kindergarten als Organisation 183
- 2. Plädoyer: Entwicklung einer Kultur der Anerkennung religiöser Differenz 194
- 3. Rückblick – Ausblick 244
- Literatur 247
- Tabellen und Abbildungsverzeichnis 276
- Anhang 277
- Abstract 279