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17Hinführung
2 Hinführung
Bis vor wenigen Jahrzehnten war man in der Religionssoziologie überwiegend der
Meinung, dass das Fortschreiten der Moderne zu einer vollständigen »Entzauberung
der Welt« (Max Weber) führen werde und Religion mit sich global ausbreitender
Säkularisierung zu einem Randphänomen menschlichen Zusammenlebens würde.13
Der dem widersprechende auffallend hohe Stellenwert von Religion bzw. Religiosi-
tät in den Vereinigten Staaten, einem Mutterland der Modernisierung, galt dabei als
eine Art »Sonderfall«, dessen Hintergründe die Religionssoziologie verstärkt unter-
suchen müsse.14 Mittlerweile konstatiert man weltweit schon länger eine »Wieder-
kehr des Religiösen« oder vielmehr eine ungebrochene Kontinuität religiöser Über-
zeugungen und Lebensvollzüge – und das nicht nur aufgrund des globalen religiösen
Fundamentalismus, der eher ein politisches als religiöses Phänomen zu sein scheint.
Der »Sonderfall« in Bezug auf den Säkularisierungsprozess scheinen diesen Beob-
achtungen zufolge nicht so sehr die Vereinigten Staaten zu sein, sondern vielmehr
Europa – ist es doch der einzige Kontinent, für den die Säkularisierungsthese nach
wie vor plausibel erscheint.15 Als Gründe dafür müssen freilich mehrere Aspekte an-
geführt werden : So haben sicherlich die Stabilisierung materieller Lebensbedingun-
gen sowie der Prozess theologischer Rationalisierung und damit die tendenzielle
Verdrängung mystisch-spiritueller Ausdrucksformen einen nicht unwesentlichen
Anteil an diesen Entwicklungen. Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist jedoch un-
bestreitbar die politische Rolle der Kirchen in Europa, die – mit unterschiedlichen
Nuancen – als Disziplinierungsorgan des Staates ein tief ambivalentes bis skeptisches
Verhältnis zu den Menschen aufgebaut haben.16 Die historische Liaison von Kirche
und Staat im europäischen Zivilisationsprozess prägt den »religionssoziologischen
Typus Europa«17 bis heute entscheidend.
Freilich können nun innerhalb Europas wiederum unterschiedliche Ausprägun-
gen dieses Beziehungsmusters zwischen Kirche und Bevölkerung beobachtet werden.
So ist bspw. der vergleichsweise hohe Stellenwert des Katholizismus in Irland nicht
zuletzt auf die weitgehende Unabhängigkeit von Klerus bzw. Mönchstum und welt-
licher Herrschaft zurückzuführen, während im germanischen und skandinavischen
Kulturraum diese Verquickung zu einem starken Rückgang kirchlicher Religiosität
geführt hat.18
13 Vgl. z. B. Berger, P. L.: Zur Dialektik (1973).
14 Berger, P. L.: The Desecularization (1999), 10.
15 Ebd.
16 Höllinger, F.: Ursachen (2005), 426.
17 Vgl. Schilling, H.: Der religionssoziologische Typus (1999).
18 Höllinger, F.: Ursachen (2005), 439–443.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353