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157Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
Der Tonfall des Erlasses ist dem Zeitgeist entsprechend autoritär. Er beginnt mit
Mahnungen und Drohungen, da die diözesanen Richtlinien eines geordneten Amts-
verkehrs, die in entsprechenden Verordnungsblättern135 bereits Jahre zuvor wieder-
holt veröffentlicht136 bzw. den Dechanten übermittelt wurden,137 offenbar wenig zu-
friedenstellend eingehalten worden sind. Das Prinzip »Überwachen und Strafen«
gilt als Leitmotiv dieser Schreiben. Der Geheimerlass bezieht sich zunächst auf die
politische Einflussnahme von Kärntner Seelsorgern.
2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren
Mit einem Ton der Entrüstung wird die politische Aktivität der Seelsorger in den
Pfarren, die offenbar mehrere politische Gegner angezeigt haben, angeprangert und
auf den entsprechenden Paragraphen des damals gültigen Kanonischen Rechts138
verwiesen. Schon seit April 1932 war den Geistlichen der Diözese Gurk die Wahr-
nehmung von Gemeinderatsmandaten untersagt, erst im November 1933 (also vier
Monate nach dem Geheimerlass) verbot die Österreichische Bischofskonferenz den
Klerikern jegliche politische Amtsausübung.139 Man wurde sich im Kontext der po-
teres Dringlichkeitsschreiben erfolgte am 12. Februar 1936, da die Regelmäßigkeit der Berichterstat-
tung scheinbar wieder abgeflaut war.
135 »Zu wiederholten Malen haben sich Fälle ereignet, daß Eingaben an die Behörden (Urlaubsgesuche,
Beschwerde- und Bittschriften usw.) mit Umgehung des f.-b. Ordinariates und direkt eingereicht
wurden. Dieser Vorgang ist ganz unstatthaft und es wird hiemit strikte angeordnet, daß alle ämtlichen
Eingaben an die weltlichen Behörden nur im Wege des f.-b. Ordinariates vorzulegen sind. Es wären
manche Verdrießlichkeiten erspart geblieben, wenn dieser Vorgang stets eingehalten worden wäre.
In Fällen, wo die Behörden direkte Auskünfte verlangen, sind dieselben auch auf dem gleichen Wege
zu erledigen. Matrikensachen, Monats- und Quartalsausweise sind wie bisher direkt einzureichen.«
KVBl. Nr. 3 (07.04.1925), 28.
136 »Eingaben an die Behörden. Die h. ä. Verordnung von 7. April 1925 Zl. 883 (K.V.Bl. 1925 Nr. 3
S.28) wird neuerdings eingeschärft u. abermals strikte angeordnet, daß alle ämtlichen Eingaben an
weltliche Behörden im Wege des Fb. G. Ordinariates vorzulegen sind. Nur die Matrikensachen u.
statistischen Ausweise sind wie bisher direkt einzureichen. Die hochw. Dekanalämter werden an-
gewiesen, die Durchführung dieser Ordnung durch die unterstehenden Pfarrämter gewissenhaft zu
überwachen.« KVBl. Nr. 1 (10.02.1929), 1.
137 »[Z]ugleich wird auch der Ordinariatserlaß vom 7. April 1925 Zl. 855 (K.V.Bl. 1925, Nr. 3, S. 28),
wonach alle amtlichen Eingaben an die Behörden nur im Wege des f.-b. Ordinariates vorzulegen sind,
in Erinnerung gebracht. Die Durchführung dieser Verordnung ist von den Dechanten zu überwachen
[…].« Fb. Gurker Ordinariat : Geheimerlass (10.07.1933).
138 »[…] An einem weltlichen Kriminalprozeß, in welchem es sich um die Verhängung einer schweren
persönlichen Strafe handelt, sollen sie [die Kleriker, Anm. d. Verf.] sich in keiner Weise beteiligen.
Ohne Notwendigkeit sollen sie dabei nicht einmal als Zeugen auftreten.« Kan. 139, § 3, CIC 1917,
zit. nach Jone, H.: Gesetzbuch (1939), 149, H. i. O.
139 Tropper, P. G.: Ordnung der Frömmigkeit (2011), 62.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353