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145Hinführung
die Regierung91 konnten die Verelendung breiter Bevölkerungsteile nicht stoppen,
Großbauvorhaben wie die Großglockner-Hochalpenstraße senkten die Arbeitslosen-
zahlen in Kärnten nur unbedeutend. Freiwillige Arbeitslager sollten die Scharen von
vagabundierenden Langzeitarbeitslosen eindämmen – auch das nur mit geringem
Erfolg. Erst Mitte der 1930er erholte sich die angeschlagene Wirtschaft langsam,
wenngleich dies das ständestaatliche Regime nicht zur Imagekorrektur nutzen konn-
te.92 Die politisch-administrative Verankerung des ständestaatlichen Systems ge-
langte auch in Kärnten über grundlegende Ansätze der intendierten korporativen
Strukturen nicht hinaus.
1.3.1 Zur administrativen Umsetzung des Ständestaates in Kärnten
Nachdem die NSDAP am 19. Juni 1933 verboten worden war, wurden ihre Abge-
ordneten auch aus dem Kärntner Landtag ausgeschlossen. Wie bereits angedeutet,
führte das rasche Anwachsen der Nazi-Bewegung in Kärnten zunächst zu einem po-
litischen Schulterschluss von Christlichsozialen und den in Kärnten weitaus stärke-
ren Sozialdemokraten, während bundesweit die Ausgrenzung Letzterer durch die
Regierung Dollfuß zu anhaltenden Konflikten führte. Der geringe Widerhall der
Februaraufstände in Kärnten illustriert diesen Sachverhalt, der nicht hinreichend
verstanden werden kann ohne die schon erwähnte Sonderrolle der Sozialdemokratie
in Kärnten mit ihrer reservierten Haltung gegenüber dem austromarxistischen Kurs
der Parteispitze in Wien.93 Das Verbot der Sozialdemokratie als Folge der Februar-
konflikte führte zu einer Annäherung vieler schon zuvor antiliberal und antiklerikal
gesinnter sozialdemokratischer Anhänger und Anhängerinnen zum Nationalsozia-
lismus.94
Unmittelbar nach dem Februaraufstand, am 17. Februar 1934, wurde der für den
Landbund kandidierende, aber deutlich mit dem Nationalsozialismus sympathisie-
91 Zu den Leistungen des Ständestaates für Kärnten ebd., 26 f.
92 »[I]m Gegenteil – der Aufstieg des Nationalsozialismus erfolgt nicht in der Zeit der schwersten Wirt-
schaftskrise, sondern in einer Phase langsamer wirtschaftlicher Erholung. Österreichs Wirtschaft be-
fand sich im Jahre 1938 keineswegs in einem so desolaten Zustand, wie dies die NS-Propaganda nach
dem Anschluß behauptete.« Wadl, W./Ogris, A. (Hg.) : Das Jahr 1938 (1988), 159.
93 Die Zurückhaltung der Kärntner Sozialdemokratie im Februar 1934 war aber auch nicht unumstritten
und führte innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Kärntens zu Auseinandersetzungen zwischen
der Parteispitze und den einflussreichen Funktionären Zeinitzer (Landesrat) und Pichler-Mandorf
(Klagenfurter Bürgermeister). Letztere hatten sich gegen eine Beteiligung an den Aufständen aus-
gesprochen und traten noch am 12. Februar aus der Partei aus, um der Bedrohung des Nationalso-
zialismus gemeinsam mit der Regierung entgegenzuwirken – ein Schritt, der für den Großteil der
antiklerikal und antibürgerlich gesinnten Arbeiterschaft nicht nachvollziehbar war. Binder, D. A.: Der
»Christliche Ständestaat« (1997), 212 ; Groba, A.: Konfrontation (2018), 449–454.
94 Wadl, W./Ogris, A. (Hg.) : Das Jahr 1938 (1988), 108.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353