Seite - 196 - in Die Kirche und die »Kärntner Seele« - Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
Bild der Seite - 196 -
Text der Seite - 196 -
Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«196
2.4.2 Finanzielle Austrittsgründe
»Ausdrücke wie : ›Jetzt werde ich auch bald Auszug feiern, wenn ich immer für die
Kirche zahlen soll‹ kann man hier schon hören.«292 Paul Rudolph, der streitbare
Pfarrer von Altenmarkt, gibt hier eine Bemerkung eines Pfarrangehörigen wieder.
Neben den einzelnen Persönlichkeiten, die als Repräsentanten »der Kirche« gelten,
war die Kirche immer Institution und Organisation und als solche hat sie stets auch
als Wirtschaftsbetrieb agieren müssen. Nicht selten waren deshalb auch Konflikte
ökonomischer Art ausschlaggebend für Ablehnung und Austritt. Diese bezogen sich
bspw. auf die Grunderwerbspolitik kirchlicher Akteure, wie der Pfarrer von Zweinitz
berichtet : »Abgefallener gab hier persönlich dem Gefertigten als Grund an : Zusam-
menkauf von Grundstücken, die nie mehr vom Volke besiedelt werden können u.
zwar nur von seitens [sic !] der Geistlichen.«293
In Zeiten wirtschaftlicher Not und Krise können außerdem finanzielle Belastun-
gen wie die »Pfarrumlage«, die zur Abdeckung vor allem von Erhaltungskosten für
Kirchengebäude eingehoben werden konnte, durchaus ein Auslöser für eine bereits
innerlich vollzogene, nun aber auch formell umgesetzte Abkehr von der Kirche sein.
»Auch die hier ausgeschriebene Kirchenumlage wurde mit Ärger zur Kenntnis ge-
nommen. Da hat ein Bauer, der noch nicht die Kirchenumlage von 1934 bezahlt hat,
gesagt : ›Ich gehe ja das ganze Jahr nicht in die Kirche und soll jetzt 100,- S dafür
zahlen.‹«294 Argumente gegen die Kirchenfinanzierung wurden von den Geistlichen
zumeist als Vorwand entlarvt : »Die Abfallhetze geht weiter, zumeist unter dem Vor-
wande des Protestes gegen die Pfarrumlagepflicht«295.
Kirchliche Bauprojekte, für die die Pfarrumlage aufgewendet wurde, hatten aber
schon zuvor für Unmut unter der finanziell belasteten Pfarrbevölkerung gesorgt, die
Wirtschaftskrise ließ nun die Situation aber noch spürbar heikler werden, wie am
Beispiel von Glanhofen deutlich wird :
Als der ehrfurchtsvoll Gefertigte vom Jahre 1892 bis 1896 das neue Pfarrerwohnheim ge-
baut hat und vier Jahre in St. Nikolai wohnen und dort die Pfarre Glanhofen pastorieren
292 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (08.11.1936).
293 Brunner, O.: Abfallbewegung Pfarre Zweinitz (14.02.1936b). In einem zweiten Schreiben mit der-
selben Datierung heißt es, die »Geistlichen kaufen viel zusammen, wodurch Grundstücke für das
allgemeine Wohl und zu Ansiedelungen als verloren anzusehen seien«. Brunner, O.: Abfallbewegung
Pfarre Zweinitz (14.02.1936a).
294 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (05.07.1936). Ähnliches wird aus der Pfarre Ott-
manach berichtet : »Es ist hier wohl im Jänner ein Besitzer (ohne die Familie mit einzubeziehen)
abgefallen, angeblich wegen der kommenden Pfarrumlage. […] Diese ganze Familie ist zudem schon
sehr lange religiös kalt.« Adler, G.: Abfallsbewegung Pfarre Ottmanach (30.07.1933).
295 Dullnig, G.: Abfallsbewegung in Oberdrauburg u. Ötting (27.06.1934).
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353