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235Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
sollten.51 Im kulturellen Gedächtnis Kärntens erscheint Hemma von Gurk bis heute
als Bistumsgründerin, was sie kirchengeschichtlich gesehen nicht war.
Der gedächtnispolitische Rückgriff auf Hemma von Gurk als vermeintliche Bis-
tumsgründerin hatte sich indes im kulturellen Gedächtnis des Landes etabliert und
wohl auch in den Köpfen der Bevölkerung verfestigt. So hat Megiser im 16. Jahrhun-
dert in seiner Edition von Christalnicks Geschichtswerk die Legende vom Knappen-
aufstand, bei dem beide Söhne der Hemma erschlagen worden sein sollen, mit der
Bistums- und Domstiftung sowie dem dazugehörigen Domkapitel verknüpft. Die
Trauer über das gewaltsame Ableben ihrer Söhne52 soll sie dazu bewogen haben :
»Hemma bawet das herrliche Gottshaus und stifftet dahin ein Bischoff mitsambt
einem Thumbcapitel«53, schreibt Megiser.
Bis in die Gegenwart verkörpert Hemma das Ideal der frommen Frau und Landes-
mutter, die Aug’ in Aug’ mit den einfachen Menschen deren Sorgen und Nöte ernst
genommen hat und so als Gegenfigur zu den weltlichen und geistlichen Führern
zur Heiligen avancierte. Das vorherrschende Bild der adeligen Wohltäterin ist nicht
zuletzt im nach ihr benannten Roman der Kärntner Schriftstellerin Dolores Viesèr
nachhaltig geprägt worden. Sein Erscheinen 1938 anlässlich der Heiligsprechung
Hemmas hatte aber neben der gedächtnisstiftenden Funktion auch deutliche politi-
sche Implikationen.
2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen«
Es war ausgerechnet Alois Hudal, der nachdrücklich dafür sorgte, dass Hemma von
Gurk im Zuge des Heiligsprechungsprozesses zur »deutschen Heiligen« werden
sollte. Er war 1934 von Rom zum »Promotor« des Verfahrens bestellt. Selbst noch
bei seiner Festpredigt zur Heiligsprechung am Peter-und-Paul-Tag 1938 im Gurker
Dom griff der streitbare Titularbischof auf eben jene deutschnationale Kampfrheto-
rik zurück, von der sich die offizielle Kirche spätestens mit der Enzyklika Mit bren-
nender Sorge 1937 entfernt hatte.54 Letztendlich war es aber gerade jene politische
Argumentation Hudals, den »deutschen« Christen mit einer »deutschen« Heiligen
51 Ebd., 41 f.
52 Die Bestrafung dieses Doppelmordes durch Hemmas Gatten Graf Wilhelm wird übrigens bei Valvasor
als regelrechtes Massaker dargestellt, sei doch »daraus ein solches Würgen und Morden entstanden, in
dem fast alle Bergknappen todt geblieben.« Johann Weikhard Valvasor, zit. bei Stejskal, H.: Kärnten
(1991), 48.
53 Hieronymus Megiser, zit. bei Stejskal, H.: Kärnten (1991), 48.
54 Rumpler, H.: Die Heiligerklärung (1988), 214 f. Auch Bundespräsident Wilhelm Miklas glaubte übri-
gens in der neuen Heiligen die Verbindung von »Germanentum und Christentum« zu erblicken und
sah das »wahre Glück der Heimat und die Größe und Zukunft der ganzen deutschen Nation erblü-
hen«. Wilhelm Miklas, zit. ebd., 215.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353