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111Das
Nationale Zeitalter
Indes konnten die Verbindung der Habsburger mit der Kirche auch die gesell-
schaftlichen Umwälzungsversuche des Jahres 1848 nicht schwächen. Der Kaiser be-
zeichnete sich nach wie vor als Kaiser »von Gottes Gnaden« und oberster Schutz-
herr der Kirche. Die liberalen Impulse hingegen forderten nicht nur die Freiheit
und Gleichstellung von Glaubensentscheidungen, sondern bedeuteten auch größere
Autonomie der Kirche in der Behandlung innerer Angelegenheiten. Diese Entwick-
lungen mündeten zunächst in das Konkordat von 1855, in dem die Kirche erstmals
als eine dem Staat gleichwertige Partnerin behandelt wurde. Die folgenden Jahre
brachten allerdings weitere Einschränkungen und Modifikationen des Konkordats
mit sich, bis seine Aufkündigung 1870 beschlossen und in den Maigesetzen 1874 de
facto umgesetzt wurde.262
Politisch reagierte man kirchlicherseits auf den stärker werdenden Liberalismus
mit der Bildung katholisch-politischer Vereine, deren Entwicklungsprozess in der
Katholischen Volkspartei von 1895 und schließlich in der Gründung der Christlich-
sozialen Partei bei den Reichsratswahlen 1907 mündete.263 Diese parteipolitische
Etablierung hatte aber eine bedeutende Konsequenz für die Kirche als Identifika-
tionssymbol aller Österreicher und Österreicherinnen : »Man hat sich auf der Seite
der Geistlichkeit und der politisch engagierten Katholiken auf politischem Feld sehr
erfolgreich organisiert – aber dieser parteipolitische Erfolg reduzierte gleichzeitig
die Eignung der katholischen Kirche, als gemeinsames, übernationales oder über-
parteiliches Österreich-Symbol zu fungieren !«264
In Kärnten hatte die katholische Kirche mit dieser Symbolfunktion seit jeher ihre
Schwierigkeiten. Die besondere Situation des sich nun entwickelnden Nationalitä-
ten- bzw. Sprachenkonfliktes erschwerte ihre Lage zusätzlich.
3.3.1 Der Sprachenkonflikt und die Kirche in Kärnten
Der Nationalitätenkonflikt machte die Diözese Gurk zu einer »der pastoral schwie-
rigsten Diözesen der Donaumonarchie.«265 Im Zuge der Nationalisierungsprozesse
des 19. Jahrhunderts hatten sich in Kärnten die sozioökonomischen Konfliktlinien
und Vorurteile mit dem völkischen Argument verbunden. »Windisch, das heißt Slo-
venisch, sprach die ungebildete, untertänige, bäuerliche-ländliche und unterschich-
tige Bevölkerung. Adel, Bildung und bürgerliche Freiheit hingegen waren mit
Deutsch verbunden.«266
262 Tropper, P. G.: Ordnung der Frömmigkeit (2011), 25–28.
263 Bruckmüller, E.: Katholisches (2013), 34.
264 Ebd., 36.
265 Tropper, P. G.: Ordnung der Frömmigkeit (2011), 39.
266 Moritsch, A.: Nationale Differenzierungsprozesse (2002), 319 f. France Prešeren, der slowenische
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353