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69Missionierung
und Christianisierung
In Bezug auf die territoriale Integration der Salzburger und Bamberger Herr-
schaften war ein zentraler Konfliktpunkt die Frage der Gerichtsbarkeit speziell für
Untertanen von jenen Herrschaften, deren Machtzentren nicht in Kärnten lagen –
konkret betroffen waren neben Salzburger vor allem auch Bamberger Untertanen.
Das Erzbistum Salzburg hatte sich das Privileg gesichert, dass seine Untertanen aus-
schließlich vor salzburgischen Gerichten erscheinen durften. Für Bamberger Un-
tertanen war das landesfürstliche Gericht nur in Ausnahmefällen zuständig, wenn
nämlich die Angelegenheit vor bambergischem Gericht nicht erledigt wurde. Für
die Untertanen vor allem der kirchlichen Herrschaften war die Rechtslage damit
unsicher und kompliziert. Erst 1535 wurde der Salzburger Rezess beschlossen, der
die salzburgischen Besitzungen in Kärnten nun auch als Teil des Landes Kärnten
fixierte und damit die Landesgrenzen festlegte. Der Landesfürst war nun die höchste
gerichtliche Instanz auch für Salzburger Untertanen.56 Im selben Jahr konnte auch
das Bistum Bamberg zu einem Ausgleich mit dem Landesfürsten bewegt werden,
hatte es bis dahin für seine Besitzungen in Kärnten Reichsunmittelbarkeit bean-
sprucht, die es von landesfürstlichen Steuerforderungen befreien sollte.57 Für die
Habitusentwicklung bedeutete dieser überaus lange territoriale Integrationsprozess
permanente Unsicherheit, sowohl in rechtlicher als auch in seelsorglicher Hinsicht.
Die allmählich größere Planbarkeit und Langfristorientierung im Alltagsleben, jene
bedeutenden Merkmale für die Ausformung des »modernen Menschen«, wurden
dadurch in Kärnten stark verlangsamt.58 Massive Krisenerfahrungen der folgenden
Jahrhunderte verstärkten diesen Umstand.
1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten
Im späten Mittelalter steigerte sich das existentielle Bedrohungspotential politischer
Auseinandersetzungen durch zusätzliche Belastungen und Katastrophen. Pestepi-
demien, Heuschreckenplagen und Ernteausfälle rafften einen Teil der Bevölkerung
hinweg, dazu verwüsteten gegen Ende des 15. Jahrhunderts osmanische Streifscha-
ren und ungarische Söldnertruppen das Land. Diese Ereignisse hatten apokalypti-
sche Ängste entstehen lassen und eine teils exzessive Frömmigkeit zur Folge. Angst
war dabei ein wesentlicher Antriebsmotor – »die mittelalterlichen Höllenvorstellun-
gen lassen uns manches davon ahnen, wie stark und intensiv […] diese Furcht im
Einzelnen war.«59
56 Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 618 und 624 f.
57 Neumann, W.: Wirklichkeit und Idee (1985), 104.
58 Dorner-Hörig, C.: Habitus und Politik (2014), 193.
59 Elias, N.: Prozeß der Zivilisation I (1997), 340.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353