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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten100
Abstieg und früher Tod hingegen häufig waren, andererseits aber das evangelische
Bekenntnis in Kärnten nicht beseitigt werden konnte.«205
Da ein weiteres Festhalten an der Transmigration von kryptoprotestantischen
Untertanen erhebliche Unruhen sowie einen zusätzlichen Rückgang der Bevölke-
rungszahlen und damit volkswirtschaftliche Probleme nach sich zog, suchte man der
Herausforderung anders zu begegnen. Parallel zu den Transmigrationen der 1750er
Jahre begann man, Missionsstationen zu errichten.206
2.4.3 Zum staatlichen Missionswesen in Kärnten
Die Pfarren, in denen sich den Behörden das Problem des Geheimprotestantismus
noch zur Mitte des 18. Jahrhunderts besonders offenbarte, lagen im unteren Drautal
(Paternion, Kellerberg, Kamering), im Gailtal (Reisach, Hermagor), im Gegendtal
(Afritz, Arriach, Treffen) sowie im oberen Gurktal (St. Margarethen in der Reiche-
nau, Gnesau) und im Raum Feldkirchen (Himmelberg und Tiffen). Die Schuld sah
man in der mit zu wenig Konsequenz durchgeführten Gegenreformation und in der
Laxheit der örtlichen Geistlichen und Behörden, darüber hinaus aber auch am aus-
ländischen Propagandawesen und der disziplinlosen Dienstbotenschicht.207
Als Reaktion darauf wurden in Kärnten 1752 Missionsstationen eingeführt. Das
entsprechende Religionspatent für Oberösterreich und die Steiermark wurde nun
für Kärnten adaptiert. Die Errichtung von Missionsstationen orientierte sich an den
gegebenen kirchlichen Verwaltungsstrukturen und wurde in fünf »Superiorate« ge-
gliedert : Klagenfurt, Friesach, Gmünd, Millstatt und jenes südlich der Drau, das
seit der Auflösung des Patriarchats Aquileia 1751 dem neu gegründeten Erzbistum
Görz unterstellt war. Die Stationen waren dem Klagenfurter Religionskonseß un-
tergeordnet, also einer staatlichen Behörde, die auch zur Überprüfung der Arbeit
der geistlichen und weltlichen Behörden zuständig war. Insgesamt sah das Kärntner
Religionspatent 26 Missionsstationen mit 40 Missionaren vor, im Erzbistum Görz
wurden die ursprünglich fünf Stationen bis 1763 auf 15 verdreifacht. Als flankierende
Zusatzmaßnahmen wurden Priesterhäuser errichtet, in denen der junge Klerus den
Anforderungen gemäß ausgebildet werden sollte.208
Die Missionare wurden in einschlägigen Instruktionen und Handbüchern, die
zwischen 1752 und 1772 von verschiedenen Stellen erlassen wurden, zu einem vor-
205 Tropper, C.: Der Geheimprotestantismus (2011), 307.
206 Tropper, P. G.: Staatliche Kirchenpolitik (1989), 64 f.
207 Ebd., 69 und 73.
208 Ebd., 80–84. Für die Diözese Gurk bestanden Bestrebungen dahingehend schon länger, unter Bischof
Josef Maria von Thun wurden sie letztlich 1745 in Straßburg umgesetzt. Auch in den Diözesen
Seckau und Görz sowie in Klagenfurt für die Erzdiözese Salzburg und die Diözese Lavant wurden
Priesterhäuser errichtet. Ebd.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353