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327Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
2.7.3 Krise, Ständestaat und endgültiger Bruch mit der Amtskirche
Der Austritt aus dem Orden, die Geburt der Tochter und der Selbstmord seiner
Frau dürften für Lobisser eine dramatische »Wendezeit« bedeutet haben. Da Ev
nicht nach katholischem Ritus bestattet werden konnte, veranlasste Lobisser die Be-
stattung durch den schon erwähnten Pastor Foelsche.415 Der Graben zwischen dem
Künstler und der Amtskirche war nun endgültig aufgerissen und unüberwindbar.
In dieser Zeit dürfte auch eine gewisse politische Bewusstseinsbildung erfolgt sein.
Mit dem Auftrag für die Fresken im Landhaussaal 1928 ist jedenfalls erstmals auch
dezidiert politische Kunst in Lobissers Repertoire gelangt. Zwar ist nicht dokumen-
tiert, wie viel Lobisser in der Zeit der Ersten Republik vom Aufstieg des Nationalso-
zialismus mitbekommen hat. Angesichts seiner vielen Ausflüge aufs Land und in die
örtlichen Wirtshäuser ist es aber naheliegend, dass Lobisser an einer entsprechenden
Bewusstseinsbildung mitwirkte.
Lobissers Politisierung war zunächst von der propagandistischen Überhöhung des
Abwehrkampfs in den 1920er Jahren geleitet. Mit der Errichtung des »Christlichen
Ständestaates« 1933 trafen aber habituelle Voraussetzungen mit den beschriebenen
persönlichen Schicksalsschlägen zusammen. So war auch für Lobisser jene Liaison
zwischen Staat und Kirche wieder umgesetzt, wie man sie hierzulande vielfach als
unterdrückend und ungerecht empfunden hatte.
»Das alte gute Österreich war unter die klerikale Knute gekommen und damit
schmählich zugrunde gegangen«416, beurteilte er in einem Brief 1938 retrospektiv die
Lage. Der Rückblick auf die »Systemzeit« war jedenfalls von Bitterkeit geprägt, wie
auch eine Bemerkung über eine seiner Skulpturen im Garten seines Häuschens zeigt :
»Der Kärntner Bua auf dem Stein (1935) könnt heut’ schon etwas lustiger drein-
schauen ; damals war er eben traurig, vielleicht war grad sein Bruder nach Wöllersdorf
gekommen oder hat ihm der Schuschnigg das letzte Kalbl aus dem Stall getrieben.«417
Die Zeit des Ständestaates bedeutete für Lobisser auch wirtschaftliche Einbußen,
hatte er doch trotz ungebrochenem Schaffenseifer mit einem Rückgang der Auf-
tragslage und seiner Popularität zu kämpfen. Eines der wenigen Auftragswerke des
Regimes ist ein Dankesschreiben der Villacher VF aus 1937 (Die Bezirksführung der
V.F. dankt … Op. 440), in dem Lobisser demonstriert, dass »der Wille vorhanden
[ist], vor allem dem Auftraggeber gerecht zu werden« und sich »für Folgeanträge an-
bieten zu wollen.«418 Deutlich mehr Aufträge bekam Lobisser in diesen Jahren aber
von namhaften illegalen Nationalsozialisten wie dem späteren Gauleiter Friedrich
415 Vgl. Teil II Kapitel 2.5.1.
416 Switbert Lobisser, zit. in Kleinhenn, G.: Switbert Lobisser (1996a), 170.
417 Lobisser, S.: Das Lobisserbuch (1941), 129.
418 Kleinhenn, G.: Switbert Lobisser (1996a), 162.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353