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Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
Eine pathetische Frömmigkeit lässt die Autorin sogar den Waffenknechten angedei-
hen, wenn sie in den Lobpreis ihrer Herrin spontan mit einstimmen :
In ihres Herzens Freude stimmt Hemma das Magnifikat an. Die zwei Waffenknechte, die
schon einige Jahre in ihrem Dienste stehen, singen froh und fromm darein. Der dritte
summt unsicher mit und wundert sich, was die Gräfin für eine schöne Stimme habe.116
Gemäß dieser Passage sind es bei Hemma von Gurk auch nicht unbedingt die Kle-
riker, die das Frömmigkeitsideal der Autorin repräsentieren, sondern die »Laien«,
allen voran Hemma selbst.
2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche
»Wahres Christentum verkörpern in diesem Roman nicht die kirchlichen Institu-
tionen und nur wenige ihrer Vertreter, sondern einzelne Menschen, vor allem die
Titelgestalt.«117 Was dabei das Bild kirchlicher Vertreter betrifft, gilt es jedoch zu
differenzieren. Die Amtskirche in Rom ist in Viesèrs Roman sogar der Heiligen
suspekt : »Bitter war auch ihr der Gedanke an Rom, in dem schlechte Päpste den
Thron der Heiligen schändeten und die Straßen vom Blute deutscher Helden gerötet
waren.«118 Der Salzburger Erzbischof wird im Roman als Kirchenfürst beschrieben,
der nicht nur die politische Position des Erzbistums, sondern auch das eigene Anse-
hen im Sinn hat, wie er (der noch kindlichen) Hemma erklärt :
›[D]u mußt bedenken, Kind, ich darf keine Unklarheiten und Schwierigkeiten entstehen
lassen. Die Kirche von Salzburg wird noch tausend und mehr Jahre herrschen. Nach mir
werden noch viele kommen. Und sie alle würden sagen : Der Erzbischof Friedrich war ein
fauler Knecht. Er hat sich ob seiner Milde benedeien lassen, und wir können nun mit Äbten
und Herren endlose Prozesse führen.‹119
Der bei der Romanfigur Hemma zunächst durchaus auf (kindliches) Wohlwollen sto-
ßende Erzbischof deutet an, dass seine Person beim Volk nicht sonderlich beliebt ist :
›So manche denken, der Erzbischof Friedrich fahre nur zu seiner Lust herum und plage die
Leute aus Langeweile !‹ […] Draußen am Gange sagte er bitter : ›Mir will es scheinen, ich
müßte zu unmündigen Kindern gehen, um verstanden und geliebt zu werden.‹
116 Ebd., 207.
117 Abret, H.: Regionalgeschichte (2010), 648.
118 Viesèr, D.: Hemma von Gurk (1965), 263.
119 Ebd., 63.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353