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193Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
muss im Land der unehelichen Kinder Widerstand erregt haben : »[D]ie Beichte
ist von Fürsten der Frauen wegen erfunden worden«272, lautete ein Argument eines
Ausgetreten.
Neben der Beichte wurden aber auch andere Glaubensinhalte, mitunter in einem
Akt bewusster Provokation, geschmäht. Von der Mutter eines Apostaten »wird er-
zählt, dass sie das Wandkreuz herabgerissen u. in den Boden geschmettert habe mit
den Worten : ›Herunter mit dir in den Herd, hast so auch nicht geholfen.‹«273 Den
Geistlichen kamen »Bemerkungen niedrigster Art […] über das hl. Meßopfer«274
unter, wie etwa folgende :
Da hat z.B. ein besserer Besitzer zu einer Frau die ziemlich täglich zur hl. Kommunion
geht die gotteslästerliche Bemerkung gemacht : ›Solche, die diese Blatl’n aus dem Kelche
nehmen (kommunizieren) sind dem Teufel näher, wie die Pfoat (Hemd).‹275
In vielen Fällen war die Abkehr von der katholischen Kirche zugleich ein Übertritt
in die evangelische Kirche. Neben Eucharistie und Kruzifix wurde auch die leich-
tere Zugänglichkeit zu den theologischen Inhalten als Argument für den Übertritt
genannt, denn »bei den Evangelischen weiß man wenigstens, was gebetet wird«276.
Ein »deutscher Gottesdienst, leichtere Religionsvorschriften, Zölibat der kath.
Priester«277 wurden als Beweggründe aufgezählt und schließlich auch das hierarchi-
sche Ämterverständnis der Kirche geschmäht, denn »ein Papst kann Nieemanden
[sic !] heilig erfinden, das ist Gottes Sache«278.
2.4.1.3 Schmähungen der Bevölkerung durch den Priester
Wie tief die Kluft zwischen Seelsorger und Bevölkerung war, zeigen aber nicht nur
antiklerikale Diffamierungsversuche gegen die Kirche und ihre Priester, sondern
auch umgekehrt die auffallende Geringschätzung der Pfarrer, mit denen diese über
jene Bevölkerungsteile herzogen, zu denen sie den Zugang bereits verloren haben.
Manche Kleriker dürften ganz generell von ihren »Schäfchen« keine allzu große
Meinung gehabt haben, besonders im Gurktal, wo man angesichts der allgemeinen
»Verschwiegenheit u. Verlogenheit«279 der Überzeugung war, dass »Versprechen […]
272 Neuwirther, F.: Abfalls-Ausweis pro Mai 1935 Dekanatsamt Friesach (09.06.1935).
273 Neuwirther, F.: Abfallsbewegung Dekanat Friesach (08.08.1934).
274 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (02.07.1934).
275 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (06.11.1935). Anm. i. O.
276 Neuwirther, F.: Apostasien Pfarre Grafendorf (o. D. [nach 1935]).
277 Brunner, O.: Abfallbewegung Pfarre Zweinitz (14.02.1936b).
278 Neuwirther, F.: Abfalls-Ausweis pro Mai 1935 Dekanatsamt Friesach (09.06.1935).
279 Brunner, O.: Abfallbewegung im Dez. 1935 (14.01.1936).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353