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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«136
der Gegenreformation, des kirchlichen Triumphalismus [stand] ; wohl zum letzten
Mal entfaltete sich ein üppiger, barocker, imperialer Katholizismus mit all seiner
Pracht und seinen Zwängen hier in Österreich.«38 Man griff dabei bewusst auf die
alten, verinnerlichten Ängste vor den Türken, oder, noch unspezifischer, vor den
»Horden aus dem Osten« zurück, für die nun symbolisch die bolschewikisch gesinn-
ten Sozialdemokraten standen. Wien wurde als »Bollwerk des Christlichen Abend-
landes« beschworen.39
1.2.1 Der Politische Katholizismus im »Christlichen Ständestaat«
Wien war auch das Zentrum des Politischen Katholizismus, wo dessen Kerngruppe
zunächst um Seipel, dann um Dollfuß und Schuschnigg schließlich die Führung
übernahm. Diese Kernelite war mit Industrie und Heimwehren vernetzt. Neben
dem Episkopat galten der Klerus im Allgemeinen, das katholische Vereinswesen –
hier besonders die Katholische Aktion und der CV – sowie die Christlichsoziale
Partei als Stützen des Politischen Katholizismus. Seine weitere Unterstützerschaft
bildeten die Aristokratie, der Bauernstand und das städtische Kleinbürgertum, in
geringerem Maße auch die Arbeiterschaft der katholischen Gewerkschaftsvereine.
Letztere bildeten gewissermaßen einen schmalen linken Rand, während der deutsch-
nationale rechte Rand weitaus breiter war.40
Als wesentliche innerkirchliche Stütze muss die straff organisierte Katholische Ak-
tion angesehen werden, deren Organisationsform den faschistischen Einheitsgedan-
ken und sein Führerideal widerspiegelte. Die ideologischen Gräben wurden mit theo-
logischer Metaphorik vertieft. »Hinein in die himmlisch-vaterländische Front, die den
Einbruch der satanischen Armee ins Reich Gottes abwehren will !«41, lautete etwa die
martialische Forderung des gebürtigen Kärntner Slowenen und späteren Domkapi-
tulars Rudolf Blüml auf der vierten Wiener Seelsorgertagung 1935. Durch die An-
passung der Katholischen Aktion an den totalitären Zeitgeist, war, so schlussfolgert
der Historiker Dieter Binder, »für viele der Weg aus den Reihen der Fronleichnams-
prozession in die Reihen der SA vorgezeichnet«42. Daneben gab es aber – nach der
Machtübernahme der Nationalsozialisten – auch Widerstand der katholischen Jugend,
allen voran durch den CV, der als eine der Trägergruppen der katholischen Jugendfeier
gegen den »Anschluss« vom 07. Oktober 1938 vor dem Stephansdom zu sehen ist.43
38 Ebd., 61.
39 Ebd.; Moritz, S.: Grüß Gott (2002), 39 f.
40 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 55–59.
41 Rudolf Blüml, zit. bei Binder, D. A.: Der »Christliche Ständestaat« (1997), 208.
42 Ebd., 208.
43 Ebd., 208 f.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353