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133Hinführung
In Kärnten hatten ideologische Vorläuferorganisationen der Nazi-Bewegung be-
reits früh Kontakte zu reichsdeutschen Vereinigungen sowohl militärischer als auch
ziviler Art geknüpft, um den Anschlussgedanken zu forcieren.20 Die Nationalsozia-
listen konnten die Anschlussidee schließlich für sich vereinnahmen, zugleich stieg
die Anschlussskepsis bei Christlichsozialen und Sozialdemokraten.21
Besonders hervorgetreten ist dabei Hans Steinacher, der während seiner Aus-
bildung an der evangelischen Lehrerbildungsanstalt in Bielitz in Schlesien mit den
alldeutschen Ideen Schönerers vertraut worden war22 und sich im Kontext des Ab-
wehrkampfes als Initiator und führender Kopf der Abstimmungspropaganda einen
Namen gemacht hatte. Steinacher ging nach dem Abwehrkampf ins Deutsche Reich
und stieg dort, nachdem er bereits prestigeträchtige politische Funktionen inne-
gehabt hatte, zum »Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland
(VDA)« auf. In dieser Funktion war Steinacher von Deutschland aus ein wesentlicher
Motor für den Aufstieg der NSDAP in Kärnten, sei es als Kapitalbeschaffer oder als
Kontaktvermittler.23
Steinacher war auch maßgeblich an der Ansiedlung von 136 reichsdeutschen Fa-
milien beteiligt, die zwischen 1926 und 1933 etwa 4.000 Hektar Bodenfläche be-
siedelten, wovon die Hälfte dieser Fläche – verteilt auf 71 Landwirtschaften – im
gemischtsprachigen Gebiet Südkärntens lag.24
Die soziale Basis der Nazi-Bewegung in Kärnten rekrutierte sich aus dem Mittel-
stand, der vor allem in Villach durch die Eisenbahngewerkschaft eine breite Basis an
öffentlich Bediensteten hatte. Burz weist auf den im Vergleich zu den Nazi-Bewe-
gungen in den anderen Bundesländern hohen Anteil an Beschäftigten in der Land-
und Forstwirtschaft hin, die man dem christlich-sozialen Lager und dem Landbund
abspenstig machen konnte.25
1.2 Ideologische Grundzüge des »Christlichen Ständestaates«
Aus diesem kurzen Überblick über die politische Landschaft Kärntens der 1920er
Jahre geht hervor, dass bereits vor der austrofaschistischen Periode antidemokrati-
sche, autoritäre und ständische Vorstellungen im politischen Diskurs allgegenwärtig
waren. Zu Beginn der 1930er Jahre wurden dann deutliche politische Vorstöße zur
Schwächung des Parlamentarismus unternommen. Der »Christliche Ständestaat«
20 Ebd., 51.
21 Bruckmüller, E.: Katholisches (2013), 42 f.
22 Gradwohl-Schlacher, K.: Josef Friedrich Perkonig (1998), 333.
23 Burz, U.: Die nationalsozialistische Bewegung (1998), 51 f.
24 Ebd., 55 ; Rumpler, H.: Die nationale Frage (2005), 41.
25 Burz, U.: Die nationalsozialistische Bewegung (1998), 76–83.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353