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191Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
Diese Drohung versuchte der Kirchenkämmerer wahr zu machen, indem er »streng
alle Familienmitglieder von jeglichem Kirchenbesuch ab[hält]. Selbst den Dienstbo-
ten und deren Kindern läßt er diesbezüglich nicht die freie Wahl.«265
All diese Berichte lassen auf die Streitbarkeit des Altenmarkter Pfarrers schließen.
Ein Vorfall, der vom Pfarrer aus der Nachbarspfarre Weitensfeld berichtet wird, be-
stätigt diesen Verdacht :
Am 26. IV. nachmittags kam Herr H. S. und ersuchte den Gefertigten, er möge dem Herrn
Pfarrer in Altenmarkt nahe legen, dass er ihn nicht mehr einen Dieb heisse, sonst müsste
er gerichtlich vorgehen. H. S., ein Großbauer, der im Jahre 1921 abgefallen ist, ist vor
Kurzem [sic !] der Stadl abgebrannt ; er muss das Vieh draussen auf der Weide lassen. Es
soll nun vorgekommen sein, dass ein Pferd auf die Wiese des Pfarrers ging und darauf
Entrüstung beim Herrn Pfarrer in Altenmarkt [hervorbrachte] und [dieser] Stellungnahme
gegen [H.] S. [forderte]. [H.] S. betonte, dass der Pfarrer von Altenmarkt vielleicht gar
nicht wisse, dass, wenn er es so weiter treibe[,] ein Grossteil der Gemeinde abfallen werde.
Es sei daselbst eine Abfallliste im Umlauf.266
Dieses Beispiel zeigt über den konkreten Konfliktfall hinaus, dass die Priester in
ihren Pfarren auch in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zu anderen Priestern,
seien es die der Nachbarspfarren oder seien es ihre Vorgänger, standen. Ein beson-
ders deutliches Beispiel eines »innerklerikalen« Konfliktes bietet der Bericht des
Pfarrers von Wölfnitz auf der Saualm.
In Greutschach wurden solche [Abfälle vom röm. Glauben, Anm. d. Verf.] wohl unter Pfr.
Hutter von mehreren angedroht, weil er auf der Kanzel persönlich die Leute (einige bloß)
mit Namen beschimpfte. Seitdem ein neuer Seelsorger die Pfarre Greutschach mitprovi-
diert, sind die Beleidigten wieder in der Kirche u. bleiben bei der kathol. Gesinnung.267
2.4.1.2 Die Katechese der Drohung und Beschämung
Zwar mag dieser Bericht einem gekränkten Verhältnis des Berichtenden zum de-
nunzierten Pfarrer entspringen, zweifelsohne war aber die »seelsorgliche« Reaktion
Besuchen des Pfarrers bestritt S. stets seine Absicht, aus der kath. Kirche auszutreten, und belog den
Seelsorger.« Wogatei, O.: Abfallsbericht Pfarre St. Michael (12.10.1935).
265 Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre Altenmarkt (07.01.1937).
266 Schulte, H.: Abfallbewegung Pfarre Weitensfeld (28.04.1934).
267 Minder, J.: Abfallsbewegung Pfarre Wölfnitz ([25.07.1933]). Der Dechant Alois Millela, dem die ein-
zelnen Meldungen zur Weiterleitung zugesandt wurden, fügte unter den Brief hinzu : »Der Angriff
auf den hochw. J. Hutter wird dekanalamtlich nicht gebilligt. Der Bericht betreffs Abfall wird zur
Kenntnis gebracht. 26.07.1933, Dekanalamt Völkermarkt, Zl. 567, Alois Millela.«
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353