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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«142
Steiermark und im Burgenland, die Menschen in die Hände der nationalsozialisti-
schen Propagandamaschinerie trieb. Verstärkte Polizeimaßnahmen in eben diesen
Gebieten hatten sicherlich einen intensivierenden Effekt auf diese Sachlage.75
Für Kärnten bedeutsam war hier die schon angedeutete eigentümliche Rolle der So-
zialdemokratie, die »sozial, deutschnational, antiklerikal und voller Mißtrauen gegen
einen von ›Juden‹ formulierten Austromarxismus Wiener Prägung war.«76 Die Über-
schneidungen, die sich zum Nationalsozialismus boten, machten den Wechsel von der
einen zur anderen Partei äußerst niederschwellig und wurden vielfach auch gar nicht als
besonders einschneidend wahrgenommen.77 »Der geheime Haß auf das unterdrückende
Dollfuß-Schuschnigg-Regime ließ zeitweise jenes symbiotische Verhältnis entstehen,
das ideologische Grenzen bagatellisierte (auch nach 1945) und gemeinsame Positio-
nen überbetonte, während die Verdammung jener, die mit der Regierung kooperier-
ten, denunziatorisch weitergereicht wurde.«78 So schafften es die Nationalsozialisten,
die Linken als »Volksgenossen« zu umwerben und zugleich mit der bürgerlichen bzw.
nichtsozialistischen Wählerschaft Übereinstimmung im Antimarxismus zu finden.79
Der Antiklerikalismus von Sozialdemokratie und Nationalsozialismus griff vor al-
lem auf die deutschliberale bzw. deutschnationale Gesinnung der »Dorfelite« – Leh-
rer, Förster, (Tier-)Arzt – zurück, die zunehmend den Klerus aus dieser Position
verdrängt hatte. Sie bildete die Trägerschicht des Nationalsozialismus und war be-
reits in den Jahren 1931/32 zur NSDAP gewechselt. Ihre außerparteiliche Organi-
sationsform war jene der deutsch-völkischen Turnvereine, die wiederum die Jugend
besonders ansprechen konnten. »Die wenigen christlich-deutschen Turnvereine, ge-
hemmt durch ihre Prüderie (siehe das mit Mißtrauen betrachtete Mädchenturnen !),
vermochten nur ein schwaches Gegengewicht auszubilden.«80 Besonders mit dem
Boykott des sonntäglichen Kirchgangs konnte die antikirchliche Opposition die Kir-
che in ihrem Kommunikationszentrum treffen.81
1.2.4 Zur allgemeinen politischen Entwicklung des Ständestaates
Faktisch zeigte sich bald die große Fragilität des ständestaatlichen Systems. Es offen-
barte sich eine große Kluft zwischen christlich-sozialen Bauern und Kleinbürgern ei-
75 Binder, D. A.: Der »Christliche Ständestaat« (1997), 223.
76 Ebd., 212.
77 Dasselbe konstatiert Binder übrigens – im Rückgriff auf Helmut Konrad – auch für die Rückkehr zur
Sozialdemokratie nach 1945. Ebd.
78 Ebd.
79 Ebd., 213.
80 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 65. Zu Vereinen und Verbänden speziell in Kärnten
vgl. Drobesch, W.: Vereine und Verbände (1991).
81 Hanisch, E.: Der Politische Katholizismus (1988), 65.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353