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73Das
Konfessionelle Zeitalter
Klerus wurde von den Bischöfen hingegen nur sehr zögerlich in Angriff genommen.68
Entsprechende Initiativen waren aber nur mehr eine späte Reaktion auf die bereits
intensiv verbreitete Bewegung der Reformation. Sie steht am Beginn des Konfessi-
onellen Zeitalters, dessen Folgen für die »Kärntner Seele« eine überaus bedeutende
Rolle einnehmen.
2 Das Konfessionelle Zeitalter
Das Konfessionelle Zeitalter stellt eine zweite wichtige Epoche für die Herausbil-
dung eines regionalspezifischen Habitus dar, dessen Rolle für die Wahrnehmung
der Kirche in Kärnten bis zur Gegenwart zentral ist. Der Begriff »Konfessionelles
Zeitalter« bezieht sich auf die einander wechselwirkend beeinflussenden politischen
wie kirchlich-religiösen Verflechtungsprozesse vom 16. bis ins 18. Jahrhundert.
Dementsprechend muss man auch von einem Ineinanderlaufen der drei Prozesse
Konfessionalisierung, Sozialdisziplinierung und Kirchenzucht ausgehen. Diese drei
Begriffe sollen den stark perspektiven- und deutungsabhängigen Begriffen »Gegen-
reformation« als Prozess äußerer Rekatholisierung und »Katholische Reform« als
jener der inneren Erneuerung alternativ zur Seite gestellt werden. Mit dem Begriff
Konfessionalisierung69 tritt zunächst »das außerordentlich breite Spektrum von re-
ligiösen und kirchlichen Praktiken ins Blickfeld, mit denen die frühneuzeitlichen
Konfessionskirchen und Denominationen nicht nur auf Verhalten, Denken und
Glauben ihrer Mitglieder einwirkten, sondern auch und vor allem bereits die psy-
chischen Dispositionen zu beeinflussen und in ihrem Sinne zu verändern suchten.«70
So bedeutete die Konfessionalisierung generell zunächst eine Vertiefung der
Christianisierung. Durch systematische Kontrollmaßnahmen wurden viele magisch-
heidnische Formen der Volksreligiosität zurückgedrängt. Damit waren auch Inter-
essen des Staates berührt. Die konfessionelle Einheit innerhalb seines Territoriums
garantierte dem Staat äußerliche Ruhe und Ordnung sowie – im Idealfall – untertä-
nigen Gehorsam und sozialen Frieden.71 Zugleich sollte sie kollektiven Sinn stiften.
Im mitteleuropäischen, deutschsprachigen Raum vollzog sich dies allerdings anders
als in den stark als einheitsstaatliche »Nationen« funktionierenden Großreichen wie
Spanien, England oder Frankreich. Aus der Zersplitterung in Klein- und Kleinstter-
68 Ebd., 92 f. und 105–111.
69 Der Begriff stammt vom Historiker Ernst Zeeden, der ihn als »die geistige und organisatorische Ver-
festigung der seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden christlichen Bekenntnisse zu einem
halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös-sittlicher Lebensform« defi-
nierte. Ernst Zeeden, zit. bei Frankl, K. H.: Konfessionalisierung (2000), 228.
70 Schilling, H.: Die Kirchenzucht (1994), 27 f.
71 Schilling, H.: Nationale Identität (1991), 199.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353