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301Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
Am Ende wird auch Leopold von den Wassermassen eines neuerlichen Unwetters
erfasst, gleich einem erlösenden Reinigungsprozess, der Täter und Tat wegspült und
beide der Vergessenheit anheimfallen lässt. Es ist eine Art Sintflut, die Viesèr hier
beschreibt : ein Chaoswasser, das alles Unrecht und alle Bösartigkeit des Menschen,
vereint in dem geläuterten Leopold Rabensteiner, schlussendlich dahinrafft.318
2.5.4 Zwischenresümee
Wie anhand der beiden vorgestellten Narrative darzulegen versucht wurde, muss
die Frage nach der Bewertung der Franzosenzeit für den vorliegenden Untersu-
chungsgegenstand differenziert beantwortet werden. Zum einen förderte die Bedro-
hungslage gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Aufbau eines
Landespatriotismus, der nun im Kontext des aufsteigenden Nationalismus gesehen
werden muss. Insofern ist das Narrativ vom patriotischen Heldenkampf um die Hei-
mat nicht erst im Rückblick entstanden, sondern bereits in den zeitgenössischen
Propagandadokumenten grundgelegt worden.319 Zahlreiche Denkmäler und In-
schriften erzählen heute noch vom heldenhaften Widerstand der Kärntner Truppen,
allen voran im Jahre 1809 in den Kämpfen von Malborghet, am Predil oder um die
Festung Sachsenburg. In einschlägigen Publikationen ist von einem »neuen Zusam-
menhalt und Opferbereitschaft«320 der Kärntner Bevölkerung für die Erbringung
der französischen Kontributionsforderungen die Rede. In diesem Zusammenhang
gilt der Gurker Bischof Franz-Xaver Salm (1749–1822) als eine der bedeutendsten
Führungspersönlichkeiten Kärntens, hat er doch großzügige finanzielle Mittel be-
reitgestellt – was schlussendlich aber auch zum eigenen finanziellen Ruin beitrug.
Salm unterstützte den patriotischen Zeitgeist durch Fahnenweihen und stellte die
kirchliche Sache in den Dienst des Landespatriotismus. Seinem Angestellten und
Protegé Johann Baptist Türk erwies er sich als Vertrauensmann.321
Ein weiterer bedeutender Ausdruck des Landespatriotismus, den die Franzosen-
zeit beflügelte, ist die 1811 erfolgte Gründung der Zeitschrift Carinthia, die nach wie
vor eines der einflussreichsten Repräsentationsorgane des kulturellen Gedächtnisses
Kärntens darstellt.322 Sie wurde auf Initiative einer »Gesellschaft von Vaterlands-
freunden« ins Leben gerufen und sollte dementsprechend an einer vaterländischen
Bewusstseinsbildung mitwirken. Die Carinthia gilt als älteste, seither kontinuierlich
318 Ebd., 414 f.
319 Vgl. dazu etwa die in der Festschrift zur Jahrhundertfeier (1909) abgedruckten Texte Enzenberg, F. v./
Seenuß, F. v.: Aufruf der Landesadministration (1909), 23–28, oder die »Drei Flugschriften« aus jener
Zeit, abgedruckt auf den Seiten 79–85.
320 Fräss-Ehrfeld, C.: In Stichworten (2009), 12 f.
321 Tropper, P. G.: Zeit Napoleons (2009), 253.
322 Fräss-Ehrfeld, C.: In Stichworten (2009), 12 f.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353