Seite - 247 - in Die Kirche und die »Kärntner Seele« - Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
Bild der Seite - 247 -
Text der Seite - 247 -
247Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
dem Sohn des Kärntner Herzogs Heinrich (der Zänker), das sie im Rahmen eines
Banketts stattfinden lässt. Inhalt des Streits ist die Auseinandersetzung darüber, ob
die Schlachtordnung der Römer erfolgversprechender ist als jene, die Wilhelm be-
vorzugt :
›Du – so was hast du freilich nicht lernen können auf der Domschule zu Hildesheim ! Da
muß man als halbes Kind dazu kommen, um es zu verstehen ! Die Römer – ha ! Deutsche
sind wir ! Hast Du’s vergessen, du gelehrter Scholar ?‹106
Heinrich wird hier von Wilhelm, der wie oben beschrieben als »selbstherrlich, stolz
und überaus empfindlich« erscheint, regelrecht beschämt und erniedrigt – die ab-
schätzige Bemerkung über die Domschule zu Hildesheim fällt wohl in die Kategorie
»Intellektuellenfeindlichkeit«. Geschichtsbewanderte Leser und Leserinnen mögen
die Tiefendimension der Szene erkennen, handelt es sich bei Heinrich doch um den
späteren Kaiser Heinrich II. und heiliggesprochenen Gründer des auch in Kärnten
einflussreichen Bistums Bamberg. Eine der schillerndsten Gestalten des Mittelalters
wird hier also vom karantanischen Grafen niedergeschrien ! Als man ihn zu beruhi-
gen versucht und die Entschuldigung für Wilhelms Auftreten im Wein sucht, ruft
dieser : »Ich bin nicht betrunken ! Aber ich lasse mich nicht behandeln wie einen
Rotzbuben !«107
2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch
Auch wenn Viesèrs Roman als ein katholischer Gegenentwurf zum vorherrschenden
Zeitgefühl konzipiert ist, kann sich die Autorin doch nicht von den (allgemein gän-
gigen) Anschauungen ihrer Zeit distanzieren. So bedient sie in ihrem Roman mehr-
mals das von der Rassenideologie jener Epoche beeinflusste Narrativ, demzufolge
die beeindruckende Naturkulisse der Kärntner Landschaft auch den entsprechenden
Menschenschlag gedeihen ließe. In der folgenden Textpassage lässt Viesèr Wilhelm
träumen, als er in der Fremde weilt :
Ah, er freut sich auf die Berge in Karantanien. Wo in der Welt gibt es solche Berge – weiß-
blau, schroff und dräuend wie eine Feste, vom Gott der Kriegsheere unbezwinglich ge-
türmt ! Und grüne Waldnocke, auf denen das köstlichste Gewild und die besten Mannen
gedeihen !108
106 Ebd., 84, H. i. O.
107 Ebd.
108 Ebd., 73.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353