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321Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
2.7.2 Kloster, Kunst und Liebe
Diesem Rat »wie ein Kalbl« folgend, wurde Lobisser 1899 in St. Paul vorstellig.
Nach dem Noviziat ging er zunächst ins oberösterreichische Stift St. Florian, dann
nach Salzburg, um Theologie zu studieren. Erinnernswert schien ihm für diese Zeit
aber nur, dass in St. Florian »viel Bier getrunken« und in Salzburg »ausnahms-
los aus zinnernem Geschirr gegessen und der Wein in gewaltigen Kupferkannen
aufgetragen«398 wurde. Ein drängendes geistliches oder gar intellektuelles Bedürfnis
hatte Lobisser offenbar nicht verspürt. Von der Theologie erhoffte er sich sichtlich
nicht viel, vielleicht wenigstens eine Charakterformung.
»Die folgenden Jahre des Theologiestudiums vermochten es ebenfalls nicht, mich
schlechter oder besser zu machen«399, schreibt er. Das änderte sich auch nicht, als er
1902 zum Studieren nach Rom geschickt wird. Die Selbstrechtfertigung, trotzdem
den geistlichen Weg fortzusetzen, formulierte Lobisser mit lockerem Sarkasmus :
»Nach so vollendetem Theologiestudium wurde ich Benediktinerpater. Da ich weder
jemanden umgebracht, noch Dörfer in Brand gesteckt, noch Jungfrauen geschändet
hatte, fand ich gar nichts daran. Auch die anderen Leute nicht.«400
Lobissers oberflächliche Haltung zu Kirche und Kloster wird sich in den 1930er
Jahren zu Ablehnung und sogar Antiklerikalismus wandeln. So äußerte er sich abfäl-
lig und mit antisemitischem Seitenhieb über
das Klostergebet mit den alttestamentarischen Gedichten eines stammfremden Volkes aus
einer Welt, die niemand mehr wahrhaftig versteht. Dafür trug ich in der Brust ein paar
hundert andere Lieder, die jedem bekömmlich sind und die loszusingen ich zu meiner ei-
genen und anderer Leute Lust und Freude jederzeit bereit war.401
Lobisser hielt sich nie an die klösterliche Etikette, war selten im Habit anzutreffen,
sondern lieber im Lodengewand auf der Jagd oder im Wirtshaus. Klerikales Gehabe
war ihm zutiefst zuwider. Sein Verhältnis zur katholischen Kirche blieb ein zwie-
spältiges, meist distanziertes, oberflächliches und in vielen Fällen auch antiklerika-
les. Der Werdegang Lobissers ist geradezu ein Musterbeispiel für dieses gebrochene
Verhältnis.
Dennoch wusste er die Unterstützung der klösterlichen Umgebung für seine In-
teressen zu nutzen. Schließlich ermöglichte das Stift ihm eine Ausbildung und die
Entfaltung seines künstlerischen Schaffens. Lobisser kam 1903 von seinem Theolo-
398 Ebd., 55.
399 Ebd.
400 Ebd., 56.
401 Ebd., 59.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353