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271Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
geschichtlichen Auswirkungen (für das religiöse und politische Leben) in Kärnten
und überhaupt für Österreich sind noch nicht hinlänglich erforscht und dürfen auch
keineswegs losgelöst von den positiven Bestrebungen der katholischen Kirche nach
1600 gesehen werden, die bemüht war, die Schäflein wieder für sich zu gewinnen,
und in der Folgezeit auch zum bestimmenden Mitgestalter der österreichischen Ba-
rockkultur wurde. Die Spuren und die unterirdischen Kanäle der damaligen Ge-
schehnisse führen aber ganz gewiss bis in die unmittelbare Gegenwart.«219
Diese Feststellung ist auch leitend für die vorliegende Fragestellung. Das ange-
führte Bild von den »unterirdischen Kanälen« steht in enger Verbindung mit dem
schon erläuterten Freud’schen Begriff der Latenz, demzufolge auch bei Kollektiven
einschneidende Erlebnisse über lange Zeiträume verdrängt werden können, bevor sie
wieder an die Oberfläche gelangen. Eine derartige Konstellation scheint für den hier
untersuchten Fall vorzuliegen. Dafür spricht zunächst der Umstand, dass gerade in
der Zeit des »Christlichen Ständestaates« die wissenschaftliche Auseinandersetzung
mit dieser Schlüsselphase der Kärntner Geschichte Fahrt aufnimmt. Sie ist in erster
Linie mit dem protestantischen Kirchenhistoriker Paul Dedic verbunden,220 der seine
Forschungen zum Geheimprotestantismus in Innerösterreich auch in den Kontext
des Ständestaates gestellt und in »[o]ffene[n] oder versteckte[n] Anspielungen«221
Parallelen zwischen den verfolgten illegalen Protestanten des 17. und 18. Jahrhun-
derts und den illegalen Nationalsozialisten unter dem Dollfuß-Schuschnigg-Regime
angedeutet hat.222
Blickt man jedoch über die wissenschaftliche Auseinandersetzung hinaus auf das
Erzählgut Kärntens, das für die bislang behandelten Erinnerungstraditionen so
überaus reichhaltiges Material lieferte, werden die Funde weitaus spärlicher.
2.4.1 Verstreute Erinnerungen an die Zeit der Gegenreformation
Zur Illustration dessen soll ein Blick in ein einschlägiges Jugendbuch aus der Zeit
des Nationalsozialismus genügen, das sich explizit der Stärkung des kulturellen Ge-
dächtnisses in Zeiten von Kampf und Krieg verschreibt.223 Unter dem Titel Kärnten/
Heimatland, Ahnenland versammelt der Herausgeber Josef F. Perkonig unterschied-
lichste Autoren und Autorinnen mit ihren Geschichten, Sagen und Erzählungen zu
219 Leeb, R.: Reformation (2000), 225.
220 Vgl. Einleitung, Anm. 150.
221 Leeb, R./Scheutz, M./Weikl, D.: Legalität (2009), 9.
222 Ebd.
223 »[D]enn wir lesen ja nicht, um zu vergessen, sondern um es in uns zu behalten. Bücher, die uns die
Dichter geschenkt haben, sind gute und treue Freunde. Sie belehren und unterhalten uns, sie trösten
uns im Unglück und stärken uns für den Kampf ; Bücher sind Krieger und Sieger.« Perkonig, J. F.: Ein
buntes Sträußlein (1942), 3.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353