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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis330
2.7.4 »Anschluss« und Nationalsozialismus
Lobisser gehörte folgerichtig zu jenen, die den Einmarsch Hitlers 1938 herbeisehn-
ten. Er schreibt 1939 : »Vor zwei Jahren habe ich einmal gesagt : ›Wenn nur der
Hitler käme, daß ich die Rellymutti heiraten könnt.‹«427 Bei der Trauung am 19.
November 1938 war dann Ferdinand Kernmaier Lobissers Trauzeuge.428
Schon im Mai desselben Jahres, also gut zwei Monate nach dem »Anschluss«,
schrieb er einem Freund in Hamburg :
Ja, Du kannst dir denken, wie froh wir sind mit der neuen Ordnung […], wie selig, wie
glücklich das Volk in den Abendstunden des bekannten Freitags […] war. […] Es hat vor
drei Monaten geheißen, […] es sei in Österreich noch ein ›kleines Häuflein Unentwegter‹
(Nationaler) ; das ›kleine Häuflein‹ haben wir am 12. März bereits in langen Kolonnen zu
Viererreihen aufmarschieren gesehen. Wie aus dem Boden gestampft, waren 20.000 junge
SA Männer aus allen Orten und Bergen und Gräben Kärntens da. Der Jubel war unbe-
schreiblich. Über 100 Gemeinden in Kärnten haben 100% gewählt (›Führergemeinden‹)
weitaus die meisten 90–99%. […] Ich grüß Dich samt den Deinen mit Heil Hitler ! Dein
SL.429
Lobissers Euphorie gibt einen Eindruck von der Sympathie, die den Nationalsozia-
listen in Kärnten entgegengebracht wurde. Mit den Nazis verbesserten sich Lobis-
sers Ansehen wie auch sein wirtschaftlicher Wohlstand schlagartig. Hakenkreuze
wurden nun zu festen Bestandteilen auf seinen Holzschnitten, auch bei solchen, die
keinen politischen Hintergrund hatten – wenngleich sie nicht im Mittelpunkt des
Bildes standen (vgl. Abb. 17, 18 und 19).430
Lobissers Heimatverbundenheit, seine Darstellung ländlicher Naturidyllen, die
Verherrlichung bäuerlicher Arbeit und mütterlicher Fürsorge, seine Skepsis gegen-
über kirchlichen und adeligen Standesdünkeln, seine Ablehnung moderner Kunst
und jugendlichen Revoltierens, seine Zuneigung zum traditionellen Liedgut,
kurz um : seine gesamte Weltanschauung passte maßgeschneidert zur Ideologie des
Nationalsozialismus. In Lobisser fanden die Nationalsozialisten den Künstler, der
ihre Gedanken zu Papier brachte, in Mauerwerk putzte oder in Holz schnitt.
427 Ebd., 128.
428 Ebd.
429 Switbert Lobisser in einem Brief an Dr. Paul Ewald, Hamburg, am 20.05.1938, zit. in Kleinhenn, G.:
Switbert Lobisser (1996a), 170.
430 Vgl. dazu mit reichhaltigem Bildmaterial Rohsmann, A.: Die Kunst (2005), 342–368 sowie Koschat,
M.: »Urgesund« (2017), 263–285.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353