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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«148
Paul im Lavanttal wurden zu Zielen von teils schweren Sprengstoffanschlägen. »Das
Benediktinerstift St. Paul war nicht nur durch den Verkauf einer Gutenbergbibel zur
beliebten Zielscheibe der NS-Agitation geworden, die Nazis verziehen dem Stift
nicht, dass es aufgeflogene ›Illegale‹ sofort entließ.«108
Der starke Rückhalt der Nazi-Bewegung in der Kärntner Bevölkerung wurde im
Zuge des Juliputsches 1934 sichtbar. Am 25. Juli 1934 stürmten als Bundesheersol-
daten verkleidete SS-Männer das Bundeskanzleramt in Wien. Der Fluchtversuch
von Bundeskanzler Dollfuß wurde mit zwei Schüssen verhindert, denen er Stunden
später erlag. Nach schweren Kämpfen besetzten die Putschisten die österreichische
Rundfunkgesellschaft RAVAG und sendeten einen Bericht über den vermeintlichen
Rücktritt der Regierung Dollfuß. Nachdem jedoch der als Putschkanzler gewonnene
Steirer Anton Rintelen verhaftet werden konnte, ergaben sich die Putschisten in
Wien, nach langen Verhandlungen, im Laufe der Abendstunden und wurden ver-
haftet. In den Bundesländern blieb es mit Ausnahme der Steiermark, Tirols und
Kärntens ruhig.109 Während in den übrigen Bundesländern dem Einsatzbefehl des
SA-Führers Reschny aufgrund des Scheiterns in Wien nicht mehr Folge geleistet
wurde, begannen die Kampfhandlungen in Kärnten erst in den Nachmittagsstunden
des 26. Juli. Vor allem im Raum Feldkirchen, im Gurktal und im Lavanttal kam es
zu heftigen Auseinandersetzungen, die noch fünf Tage dauern sollten, bis die letzten
Putschisten über die Grenze bei Lavamünd nach Jugoslawien flüchteten. Erst mit der
Mobilisierung von Bundesheereinheiten aus Wien und Niederösterreich konnte der
Putsch niedergeschlagen werden.110 Der Historiker Christian Klösch konnte alleine
für das Lavanttal 874 von mutmaßlich 1.291 Putschisten namentlich erfassen, wovon
etwa 600 flüchten konnten. Die Auseinandersetzungen forderten im östlichsten Tal
Kärntens mindestens 21 Tote.111
1.3.3 Zur Rolle Bischof Hefters und des Politischen Katholizismus in Kärnten
1933 bis 1938
Die Zeit des Ständestaates fiel in die Amtszeit des Gurker Diözesanbischofs Adam
Hefter (1871–1970). Der gebürtige Bayer war 1914 der letzte österreichische Bi-
schof, der vom Landesfürsten – in der Person von Kaiser Franz Joseph – zum Bi-
schof ernannt wurde. 1931 bot er aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt
108 Ebd., 74 f.
109 Ebd., 81 f. In Tirol wurde zunächst der Innsbrucker Sicherheitswachekommandant ermordet ; in der
Steiermark wurden die Putschisten in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli von Bundesheer, Heimwehr
und Gendarmerie in blutigen Kämpfen besiegt. Ebd., 82 f.
110 Ebd., 84 f.
111 Ebd., 127–129.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353