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89Das
Konfessionelle Zeitalter
Religionsreformationskommission, zugleich aber auch Grundherr war und so den
eigenen Untertanen gegenüber milder auftrat als fremden Untertanen gegenüber.146
Dazu kam, dass die Umsetzung der Rekatholisierung durch die Beamten vor Ort
zaghaft vor sich ging – viele der aus dem bürgerlichen oder bäuerlichen Aufstei-
germilieu stammenden Beamten waren selbst evangelisch gesinnt. Darüber hinaus
fürchtete man bei einer konsequenten Ausweisungspolitik einen zu starken Bevölke-
rungsrückgang ; man befand sich ohnehin in Krisenzeiten. So war man häufig mit äu-
ßerlichen Willensbekundungen, signalisiert durch Beichte und Gottesdienstbesuch,
zufrieden. Solange sich die Untertanen ruhig verhielten, setzte man keine rigorosen
Aktionen mehr. Nach zwei neuerlichen Reformaufforderungen 1651 und schließ-
lich 1667 dürfte nach derzeitiger Quellenlage eine vorübergehende Beruhigung der
Situation eingetreten sein, was aber nicht als Erfolg der Rekatholisierung gedeutet
werden kann – »einerseits hatten die evangelischen Bauern wohl mittlerweile Stra-
tegien entwickelt, ihr Bekenntnis im Verborgenen zu leben, und andererseits schei-
nen ihnen die Behörden weniger Aufmerksamkeit gewidmet zu haben.«147 Erst der
gesteigerte Druck zur Sozialdisziplinierung zu Beginn des 18. Jahrhunderts ließ die
alten Konflikte wieder an die Oberfläche gelangen. Er ist Ausdruck jener Phase, die
auch als konfessioneller Absolutismus bezeichnet wird.
2.4 Der konfessionelle Absolutismus in Kärnten
Der Begriff des konfessionellen Absolutismus kennzeichnet die Übergangsphase von
einer sukzessiven Entmachtung der Stände und einem weiteren Ausbau der zentra-
lisierenden Kräfte im Territorialstaat hin zum Absolutismus des 18. Jahrhunderts.
Mit der schrittweisen Durchsetzung des Gewaltmonopols durch den Staat lösten
sich die ständischen Organisationsformen aber keineswegs auf, sondern herrschten
auf lokaler Ebene weiter, wenngleich mit deutlich geringerem politischen Einfluss.148
Die Idee des konfessionellen Absolutismus war eng mit der Überzeugung verbun-
den, die absolute Herrschaftsgewalt des Monarchen beruhe auf göttlicher Gnade,
wodurch der Potentat zugleich den göttlichen Auftrag zur Sorge um Wohlfahrt und
Seelenheil der Untertanen habe.149 In kirchenpolitischer Hinsicht strebte man eine
Einheitskonfession an, die als Garant innerer Stabilität gesehen wurde. Die Ange-
hörigkeit zu einer anderen Konfession wurde dabei nicht nur als Ketzerei bekämpft,
146 Tropper, C.: Der Geheimprotestantismus (2011), 295 f.
147 Ebd., 298–302, hier 300.
148 Schulze, W.: Oestreichs Begriff (1987), 282.
149 Neben anderen wohlfahrtsstaatlichen Maßnahmen wird diesbezüglich besonders häufig auf die Ein-
führung der Schulpflicht bzw. »Allgemeinen Schulordnung« von 1774 durch Maria Theresia verwie-
sen.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353