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163Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34:
die Ruhe vor dem Sturm
In den ersten Monaten nach Ergehen des Geheimerlasses am 10. Juli 1933 wird aus
vielen Pfarren noch von einer einigermaßen entspannten Situation berichtet. Die
Begründungen für das Fehlen einer Austrittsbewegung sind aber durchaus unter-
schiedlicher Natur. So wird zum einen auf die ausgleichende Person des Pfarrers
verwiesen,157 zum anderen die wirtschaftliche Not jener Jahre als politisch lähmend
empfunden,158 wiederum andere führen dies auf die Mentalität der Pfarrbevölkerung
zurück.159
Einige Pfarrer, vornehmlich aus dem gemischtsprachigen Gebiet, machen sogar
ihrem Ärger über den zusätzlichen bürokratischen Arbeitsaufwand Luft.
Meines Wissens ist im hiesigen Dekanate diese Bewegung [die nationalsozialistische,
Anm. d. Verf.] gleich Null. Und darum ist auch kein Abfall diesbezüglich zu berichten.
Die hier bestehenden politischen Parteien wollen vom Hitler und seinem Anhange nichts
hören. Bitte sehr um mir viele überflüssige Arbeit zu ersparen, gnädigst Abstand zu neh-
men von monatlichen Berichten in dieser Sache. Ich werde für jeden Fall die Pfarrer im
Dekanate ersuchen, daß sie mir alsogleich berichten, wenn eine Abfallsbewegung wegen
Hitler einsetzen sollte.160
Andernorts, allen voran in den traditionell deutschnational geprägten Gebieten Ober-
und Nordkärntens, war man sich der Präsenz nationalsozialistischer Umtriebe und
157 »Die Abfallsbewegung ist in dieser Pfarre [Viktring] im Jahre 1929 zur Ruhe gekommen, soweit sie
in den Austritten sich zeigt. […] Das persönlich gute Verhältnis des H. Herrn Pfarrers zu den Armen
und Arbeitern hat wohl einen großen Anteil daran. Für den Pfarrer Josef Kadras vic. subst.« Kadras,
J.: Abfallsbewegung Pfarre Viktring (28.07.1933).
158 »Eine Abfallsbewegung würde hier sofort im Sande verlaufen. In der Pfarre herrscht vollkommene
Ruhe, das Volk hat zu viel Sorgen um das tägliche Brot, darum keine Zeit und Lust sich um politi-
sche Richtungen zu kümmern.« Marašek, K.: Bericht über die Abfallsbewegung Pfarre Damtschach
(24.07.1933).
159 »Die Bevölkerung, sowohl die bäuerliche wie die dem Bergarbeiterstande angehörige, hat einen so
ruhigen und besonnenen Charakter, daß eine Verhetzung auch von außen her kaum in sie hineinge-
tragen werden kann.« Rausch, J.: Abfallsbewegung Pfarre Heiligengeist (20.08.1933).
160 Kindlmann, J.: Nazi-Soc. Bewegung (03.08.1933). Auch in folgendem Schreiben dringt ein leicht
aufmüpfiger Ton zwischen den Zeilen durch : »In hiesiger Pfarre ist in der religiösen Beziehung voll-
ständige Ruhe[;] von einer Abfallsbewegung ist keine Rede. Wenn gegen Erwarten sich die Situation
ändern sollte, wird das ergebenst gefertigte Pfarramt schon berichten, darum bittet es nicht jeden
Monat einen Bericht einsenden zu müssen. (Nachsicht)«. Kindlmann, J.: Geheimerlass Pfarre St. Veit
im Jauntal (25.07.1933).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353