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309Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
Tragödie Heimsuchung. Perkonig verfasste sie noch vor der Volksabstimmung unter
dem Eindruck der Ereignisse, die er als Kriegsberichterstatter erlebte.352
2.6.2 Das Bild von Klerus und Heimat in der Tragödie Heimsuchung
Der Zweiakter entstand im Frühling 1920 und wurde im Juni desselben Jahres in
Klagenfurt uraufgeführt. Die Druckausgabe wurde 1923 vom Österreichischen
Schulbuchverlag in Umlauf gebracht, 1925 wurde die Tragödie zum Volksabstim-
mungsgedenken erneut im Stadttheater Klagenfurt aufgeführt und Perkonig stür-
misch umjubelt.353
Das gesamte Stück ist in einer Kärntner Bauernstube angesiedelt und verfolgt das
Schicksal einer Kärntner Bauernfamilie bzw. der Dorfbewohner an drei Märztagen
des Jahres 1920. Das Land ist von den jugoslawischen Truppen besetzt. Unliebsame
deutschtreue Widerständige werden zwangsausgesiedelt und Illegale, die die Demar-
kationslinie übertreten wollen, erschossen. Der Bauer, in dessen Haus sich die Tragö-
die abspielt, ist vor der Verfolgung durch feindliche Truppen geflohen, der Sohn liegt
mit einem Lungenschuss im Sterben. Die Magd wurde von einem Soldaten vergewal-
tigt, die nun auch noch entdeckte Schwangerschaft treibt sie in den Selbstmord. Der
Großvater und die Bäuerin sind als Einzige übriggeblieben, sie wachen in der Bau-
ernstube über den sterbenden Sohn. Nach und nach treffen Bewohner aus dem Dorf
ein, die über einen Ausweisungsbefehl, demzufolge sie binnen einer kurzen Frist über
die Demarkationslinie aus dem besetzten Gebiet ausreisen sollen, aufgebracht sind.354
Gleich zu Beginn des ersten Aktes fragt die Bäuerin den Großvater :
›Enk ist schwer, daß ös nit in die Möß gehn könnts ?‹
Der Großvater (bleibt jäh stehen, mit einem wilden Haß). ›Solang der am Altar steht, siegt
mi die Kirchn niammer ; mi nit.‹ (Er wird leiser und sinkt demütig in sich zusammen.)
›Herrgott, verzeih mir die Sünd, aber i kann halt nit anders.‹355
Gemeint ist der junge Pfarrer, der als politischer Scharfmacher zur Hauptzielscheibe
des Hasses der gesamten Dorfbevölkerung wird. Ihm gegenüber steht »der alte Pfar-
rer«, der am Ende selbst ausgewiesen wird, als positives Gegenbild, der aber in sei-
352 Perkonig wurde ein Auto zur Verfügung gestellt, um Kärnten entlang der Demarkationslinie bereisen
zu können. Als die Truppen des SHS-Staates im Sommer 1919 Klagenfurt besetzen, musste Perkonig
fliehen, zunächst nach Moosburg, dann in die Innerteuchen an der Gerlitzen, dann wieder zurück
nach Moosburg. Nussbaumer, E.: Josef Friedrich Perkonig (1965), 39–42.
353 Ebd., 77.
354 Perkonig, J. F.: Heimsuchung (1923), o. S.
355 Ebd., 16. In der Buchfassung wird die direkte Rede ausschließlich durch die Schriftsetzung kenntlich
gemacht. Im Folgenden wird diese zur Erleichterung unter einfache Anführungszeichen gesetzt.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353