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255Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
haben das Land der Slawen und Awaren bekämpft. Wir haben es für das Reich gewonnen !
Verstanden ?‹138
In Hemmas nun folgender Antwort mögen zwar die gewaltsame Christianisierung
und die bairischen Kolonialisierungswellen des 10. und 11. Jahrhunderts im Vor-
dergrund stehen, hintergründig wirkt sie im Kontext der Erzählzeit aber nahezu wie
eine zeitdiagnostische Kritik am politischen Establishment, aber auch am herrschaft-
lichen Gebaren der Kirche :
›Ja, Oheim, das Land ist deutsch, aber die Leute noch nicht. Die mögen unsre strenge
Herrschaft nicht. Aber wenn wir ein Kloster haben und die Mönche – oder die frommen
Frauen – lehren sie alles Gute und heilen die Krankheiten und pflegen die Kinder – viel-
leicht werden sie dann lieber deutsch und christlich sein ? – – Sonst wäre – eure Arbeit
ja – umsonst gewesen –.‹139
Hier tritt wieder die deutliche Sympathie Viesèrs für den geistlichen Stand, den sie
ja in ihrer Zeit in Hall in Tirol selbst kennengelernt hatte, zum Vorschein. Zugleich
klingt hier aber eine Mahnung an denselben durch, sich seiner eigentlichen Aufga-
ben bewusst werden zu müssen, wenn man bei der Bevölkerung für sich und den
Glauben Anerkennung erlangen möchte.
2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung
Am Ende ihres Romans lässt Dolores Viesèr eine jener »frommen Frauen« zu Wort
kommen – eine junge Nonne, die im von Hemma gegründeten Konvent in Anwe-
senheit des Erzbischofs die Heiligkeit der Klostergründerin infrage stellt :
Eine gute, fromme Frau ist Mutter Hemma gewiß, doch will es mir scheinen, sie habe
nichts Außergewöhnliches aus Liebe zu Gott getan. Nie habe ich von schweren Abtötun-
gen gehört, sie hat ihr Gut nicht unter die Armen verteilt, sie hat als Fürstin in der Welt
gelebt. Und sie hat sich auch nicht freiwillig von aller irdischen Liebe getrennt, wie andere
Freunde Gottes, sondern er hat ihr erst alles nehmen müssen. Und wenn sie jetzt ihre Gü-
ter zu frommen Stiftungen verwendet, so geschieht es doch wohl, weil sie alt ist und keine
Erben hat. Mich hat es schon oft gewundert, daß man sie als Heilige rühmt.‹140
138 Ebd., H. i. O.
139 Ebd.
140 Ebd., 413 f.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353