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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«198
Für die meisten katholischen Kleriker war der Protestantismus Inbegriff allen
Übels und Wurzel der Austrittsbewegung. Schon an der Wortwahl wird deutlich,
was man von der konkurrierenden Kirche hielt. So habe eine mit einem Protestan-
ten verheiratete katholische »Mutter […] alle Kinder aus dieser Ehe dem Luther-
tum geopfert [H. d. Verf.], nun ist auch die voreheliche Tochter dem bösen Beispiel
gefolgt.«300 Evangelische Diakonissinnen würden sich an Kinder aus Mischehen
»heran machen« und sie »mit ausgiebigen Unterstützungsversprechungen«301 ab-
werben. Im Zentrum der Abfallsbewegung stehen aber quer durch die allermeisten
Kärntner Dekanate die protestantischen Geistlichen.
2.5.1 Zur Rolle der protestantischen Geistlichen
Die evangelischen Pastoren sind in der Zwischenkriegszeit oftmals aus Deutsch-
land nach Kärnten gekommen, um für den Konfessionswechsel zu werben. Zu-
gleich verbreitete sich mit ihnen nationalsozialistisches Gedankengut. Evangelische
Vortragsabende,302 Bibelrunden303 und vor allem Gottesdienste304 wurden von den
katholischen Geistlichen als nationalsozialistische Propagandaveranstaltungen be-
schrieben und scharf verurteilt.
300 Neuwirther, F.: Abfalls-Ausweis pro Mai 1935 Dekanatsamt Friesach (09.06.1935).
301 Habernig, J.: Apostasie Stadtpfarre Spittal (20.02.1936).
302 »[D]er protestantische Religionsdiener von St. Veit a. [d.] Glan hat bei der dortigen Bezirkshaupt-
mannschaft um die Bewilligung angesucht, in Altenmarkt über das ›Wesen des Protestantismus‹ in
öffentlicher Versammlung sprechen zu dürfen. […] Die genannte Versammlung sollte am 30.6.34
tagen, war aber aus bestimmten Gründen untersagt worden.« Rudolph, P.: Abfallsbewegung Pfarre
Altenmarkt (02.07.1934).
303 »Gefördert wird sie [die Abfallshetze] durch ortsansässige Evangelische einerseits, andererseits aber
auch durch den neuen evangelischen Pfarrer Drewes von Unterhaus. Derselbe veranstaltet ziemlich
regelmäßig sogenannte ›Bibelabende‹ in einem hiesigen evangelischen Hause bei ›verschlossenen
Türen‹ und ist das Haus währenddessen auch von Wächtern umstellt ! Zu diesen ›Bibelabenden‹
werden eifrigst die politisch verärgerten, durch Strafmaßnahmen verbitterten kath. Nationalsozia-
listen Millstatts geladen, leider nicht vergeblich !« Kohlmaier, A.: Abfallsbewegung Pfarre Millstatt
(04.06.1934).
304 »Aus dem Gurktale machten auch unsere Abgefallenen mit ein paar jungen Mädchen (katholische)
mittels eines Autobus eine Fahrt mit anderen Evangelischen (›Nazi‹) aus dem Gurktale einen Ausflug
nach Arriach, wo sie dem evangelischen Gottesdienst, der ihnen sehr gefiel, beiwohnten.« Brunner,
O.: Abfallbewegung Pfarre Zweinitz (01.07.1936).
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353