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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten120
demokraten angesprochen werden konnte.309 Das christlich-soziale Lager war damit
vor große Probleme gestellt.
Am Vorabend des Ersten Weltkrieges erwies sich für die Kirchenleitung in Kärn-
ten außerdem die personelle Situation als ungünstig. Nach der Weihe Bischof Kalt-
ners zum Erzbischof von Salzburg im Mai 1914 war die Diözese bis zum Frühjahr
1915 sedisvakant. Sein Nachfolger Adam Hefter, ein gebürtiger Bayer, hatte bereits
als Alumne des Priesterseminars in Klagenfurt erste Bekanntschaft mit diesem Land
gemacht.310
3.3.3 »Hetzpfaffen« und »Pfaffenhetze« im Kontext von Erstem Weltkrieg
und Abwehrkampf
Hefters erste Herausforderung als Bischof von Gurk war die Positionierung seiner
Diözese im Kontext des Ersten Weltkriegs. Hefters grundsätzliche Haltung unter-
schied sich dabei nicht von jener Roms. Entsprechend der allgemeinen Kriegsbegeis-
terung in den Anfangsmonaten des verheerenden Menschenschlachtens sah auch die
österreichische Kirche ihre Hauptaufgabe in der seelsorglichen Stärkung patrioti-
scher und soldatischer Tugenden. Der Krieg galt als Verteidigung des Glaubens, und
so war man lange Zeit, bis 1916, siegessicher und sah den Katholizismus gestärkt im
Kampf gegen Unsittlichkeit und Verwahrlosung der Jugend aus dem Krieg hervor-
gehen.311 In autoritärem Ton und mit unhinterfragbarem Wahrheitsanspruch sahen
die Bischöfe im Krieg die Zuchtrute Gottes für die Verfehlungen einer Gesellschaft,
309 So muss in dieser Epoche auch der Rückgang in der Verwendung der slowenischen Sprache als
Umgangssprache in den Südkärntner Gebieten nicht allein im Kontext ideologischer, sondern auch
ökonomischer Zwänge gesehen werden. Zwischen 1880 und 1910 sank der Anteil der slowenischen
Umgangssprache in Kärnten von 30 % auf 21 %, in den ökonomisch prosperierenden Gebieten ent-
lang von wichtigen Verkehrsrouten, in Industrieorten oder in touristischen Regionen jedoch deutlich
stärker als in ländlichen, strukturschwachen Gegenden. Ebd., 15.
310 Hefter wurde 1871 in Stetten bei Prien am Chiemsee geboren. Nach seiner Zeit im Priesterseminar
in Klagenfurt und der Priesterweihe 1894 machte er erste seelsorgliche Erfahrungen in kleineren
Kärntner Pfarren im Lavant- und im unteren Drautal, bevor er für seine Studienzeit in Innsbruck das
Land verließ, um danach für kurze Zeit als Lehrer im Benediktinergymnasium in St. Paul im Lavant-
tal zurückzukehren. Ein Nervenzusammenbruch zwang ihn aber zu einem Aufenthalt in einer Ner-
venheilanstalt. Nach seiner Genesung trat er weitere Stellen als Lehrer an, allerdings in Ober- und
Niederösterreich, wo er schließlich Bekanntschaft mit dem späteren Erzbischof von Wien, Kardinal
Friedrich Gustav Piffl machte. Piffl sollte für ihn eine wesentliche Unterstützung in der Berufung
zum Bischof von Gurk werden. Obersteiner, J.: Bischöfe von Gurk (1980), 165 f.
311 Tropper, P. G.: Front (2015), 12–14 und 21–24. Erst unter Papst Benedikt XV. begann die Kirche im
Allgemeinen den Schrecken des Krieges in Aufrufen zu Frieden und Völkerverständigung zu begeg-
nen. Ebd., 13 f.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353