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Kirche und Habitusentwicklung in
Kärnten108
3.2 Die französische Besatzung Oberkärntens und die liberale Ordnung
Die Französische Revolution hatte 1789 ganz Europa in Aufruhr versetzt. Auch in
Kärnten gab es unter den Bauern vereinzelt Unruhen, weil die Stimmung angesichts
der staatlichen und kirchlichen Reformen angespannt war. Eine klare Unterstützer-
schaft für die Ideen der Revolution beschränkte sich aber auf kleinere Zirkel in den
größeren Städten.243 Bald wurde Kärnten jedoch von den kriegerischen Nachwehen
der Revolution erfasst und in die Napoleonischen Kriege mithineingezogen. Be-
reits 1797 waren Napoleons Truppen im Verlauf seines Italienfeldzuges nach Kärn-
ten vorgestoßen, Klagenfurt wurde einige Tage lang besetzt gehalten.244 Die Wirren
der folgenden Jahre brachten rasch wechselnde administrative Änderungen mit sich,
deren wichtigste die Teilung Kärntens nach dem Frieden von Schönbrunn 1809 war.
Mit ihm wurden Villach und Oberkärnten Teil der »Illyrischen Provinzen«, die von
Osttirol bis Dalmatien reichten.245 Das von den Franzosen besetzte Oberkärnten
wurde Teil der Provinz Illyrien und von Laibach aus verwaltet. Unterkärnten ver-
blieb beim österreichischen Kaiserreich und Graz unterstellt.246 Der Distrikt Ober-
kärnten und der Subdistrikt Lienz wurden in zehn Kantone aufgeteilt, die wiederum
in Arrondissements bzw. Mairien eingeteilt waren.247
Die Franzosen begannen, ihre gesellschaftspolitischen Ideale in den eroberten Ge-
bieten umzusetzen. Die Grundherrschaften wurden aufgelöst, das ständische Prinzip
mit Untertänigkeit und zünftischen Gewerbeschranken war nun abgeschafft – alle
Bürger waren gleich vor den staatlichen Institutionen und ihren Gesetzen. 1812 trat
der französische Code Napoleon mit seiner grundsätzlichen Gleichstellung aller
Bürger in Kraft. Die grundherrlichen Ansprüche wurden über Hypothekenrechte
wahrgenommen, staatliche Grundherrschaften verpachtet, die Grundbuchführung
zentralisiert.248
Auch im kirchlichen Bereich nahm die französische Verwaltung einschneidende
Umstrukturierungen vor. Alle Konfessionen wurden nun rechtlich gleichgestellt und
die Pfarrer aus der staatlichen Kasse besoldet. Ab sofort war die zivile Eheschlie-
ßung möglich. Der Kirche wurde zudem die Schulaufsicht entzogen und den Mai-
rien übertragen. Der Villacher Kreis wurde der Diözese Laibach unterstellt. Das
Vogteiwesen wurde abgeschafft und durch eine Art Gemeindekirchenrat ersetzt, der
nun die Vermögensangelegenheiten der Kirche zu verwalten hatte.249 Als Reaktion
243 Hanisch-Wolfram, A.: Die Neuzeit (2015), 302 f. Valentin, H.: Aufklärerische Strömungen (2009).
244 Tropper, P. G.: Zeit Napoleons (2009), 253.
245 Neumann, D.: Villacher Kreis (2009), 199–205.
246 Hanisch-Wolfram, A.: Die Neuzeit (2015), 303–309.
247 Neumann, D.: Villacher Kreis (2009), 202.
248 Ebd., 202–204.
249 Ebd., 204 f.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353