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197Die
Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938
mußte, haben allerdings, um den geringen Baukosten-Umlagen zu umgehen, einige Besit-
zer mit Abfall gedroht, durch freundliches Zureden konnten sie von ihrem Vorhaben ab-
gehalten werden. Jetzt wird aber auch die Gefahr zum Abfall größer, weil die gutgesinnten
Besitzer wegen Überschuldung verkaufen müßen und die Zugewanderten fast ausnahm[s]-
los radikale Nationalsoziale sind, die nach Preußen-Deutschland gravitieren und dort auch
materielle Hilfmittel beziehen. Darüber könnte Gefertigter eine ganze Broschüre schrei-
ben, doch es fehlt ihm hiezu die Zeit.296
Kirchenfinanzierungsvorgaben konnten in einigen Fällen die ohnehin labile Situa-
tion ernsthaft schädigen, wie etwa in Irschen, denn »mit den Kirchenumlagen hat
die politische Gemeinde keine Ordnung. Jetzt erst extra Hetze !«297
Kirchenaustritt oder Konfessionswechsel waren also häufig auch von sehr profa-
nen und pragmatischen – aber dennoch meistens emotional gefärbten – Überlegun-
gen begleitet. Nicht selten waren es auch materielle Anreize von anderer Seite, die
den letzten Ausschlag zur Aus- bzw. Übertrittsentscheidung gegeben haben. Solche
Anreize werfen die katholischen Geistlichen ihren protestantischen Konkurrenten
vor. Nun soll im nächsten Kapitel die Wahrnehmung der evangelischen Kirche und
ihrer Vertreter durch die katholischen Kleriker näher behandelt werden.
2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche
Alle diese Fälle sind halt deutsch bis in die Knochen, d. h. protestantisch, denn der ›ganze‹
Deutsche darf nicht ›katholisch‹ sein.298
Ein Großteil der ausgetretenen Katholiken wechselte im Zuge der Kirchenaustritts-
bewegung die konfessionelle Zugehörigkeit und trat in die evangelische Kirche ein.
Nur wenige Ausgetretene entschieden sich für gänzliche Konfessions- bzw. Religi-
onslosigkeit.299 Sicherlich war es noch unüblich, keiner Kirche anzugehören. Abge-
sehen davon hatte die protestantische Tradition aber auch eine starke ideologische
Nähe zum deutschnationalen Gedankengut. Gerade für Kärnten muss zudem betont
werden, wie sehr die mentalitätsgeschichtliche Prägung der heimischen Bevölkerung
der evangelischen Kirche entgegenkam.
296 Jandl, J.: Apostasien Pfarre Glanhofen (18.02.1936).
297 Reichegger, J.: Abfallbewegung im August 1934 (03.09.1934).
298 Neuwirther, F.: Abfallsbewegung Dekanat Friesach (08.08.1934), H. i. O.
299 Dass es allerdings noch einen nicht geringen Anteil an Übertritten zu den »Bibelforschern« (Zeugen
Jehovas) sowie zu den Siebten-Tags-Adventisten gab, soll im Kapitel 2.7 noch ausführlicher illustriert
werden.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353