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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis282
des konfessionellen Gewissenszwangs eignet sich dafür jedoch nicht im selben Aus-
maß, weil die Konfliktlinien mitten durch die eigene Gesellschaft gingen und selbst
lokale Behörden sich häufig zwischen den Fronten wiederfanden. Der »von außen
kommende Feind«, wie er im Falle der SHS-Verbände, der Partisanen oder der Tür-
ken gegeben ist, lässt sich hier in weniger klaren Umrissen erkennen. Zennecks Ro-
man drängt die Jesuiten in diese Rolle ; der Kaiser als »willenloses Werkzeug in den
Händen der Jesuiten« erscheint damit als Verräter des eigenen Volkes – ein Gedan-
kengang, der sich bis in die Gegenwart in der Skepsis gegenüber der Regierung in
Wien und auch gegenüber der katholischen Kirche weiterverfolgen lässt.
Ein auf den ersten Blick klares Feindbild lieferten auch die französischen Besat-
zungssoldaten im Zuge der Napoleonischen Kriege. Dies lässt sich zumindest für das
offizielle kulturelle Gedächtnis, wie es im öffentlichen Raum in zahlreichen Denk-
mälern gespeichert ist, mühelos nachweisen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich
aber, dass die liberalen – und damit auch antiklerikalen – Gesellschaftsvorstellungen
der Franzosen in Kärnten keineswegs auf durchgehende Ablehnung gestoßen sind.
2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens
Im Hinblick auf die Franzosenzeit existieren in Kärnten offenbar mindestens zwei
Narrative. Die weitaus stärkere und wirkungsgeschichtlich bedeutsamere Tradition
ist jene der offiziellen Geschichtsschreibung, die die Zeit der Franzosenkriege zwi-
schen 1797 und 1813 vor allem aus dem Blickwinkel des Patriotismus bearbeitet
hat. Neben einer bloßen Darstellung der Ereignisse ging es in diesem Narrativ auch
explizit darum, »das ganz ausgezeichnete, patriotische Verhalten der Zivilbevölke-
rung« sowie den »Heldenmut der österreichischen Truppen an Kärntens Grenze«
hervorzuheben.253 Das zweite Narrativ ist abseits der Historiographie in literari-
schen Verarbeitungen dieser kurzen Epoche aufzufinden und stellt neben einer dif-
ferenzierteren bis positiven Betrachtung der französischen Besatzer die Kritik an der
einheimischen Gesellschaft jener Zeit in den Vordergrund. Diese teils subtile, teils
unverhohlene Kritik soll anhand von Hans Sittenbergers Novelle Tagebuch der Scho-
lastica Bergamin (1899) sowie anhand des Romans Nachtquartier (1971) von Dolores
Viesèr in den Blick genommen werden.
2.5.1 Die Franzosenzeit als Patriotenzeit
Das herkömmliche und dominierende Bild der Franzosenzeit stellte die Heldenhaf-
tigkeit und patriotische Opferbereitschaft der Kärntner Bevölkerung im Kampf gegen
die feindlichen Besatzer ins Zentrum des Interesses. Die Tatsache des militärischen
253 Jaksch, A. v.: Vorrede (1909), III.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353