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Kirche und Habitus im »Christlichen
Ständestaat«216
3 Zwischenresümee
Der Mehrwert des analysierten und bisher noch unveröffentlichten Archivmaterials
lässt sich nun mit zwei wesentlichen Aspekten benennen : Er liegt zum einen im
zeitgeschichtlich und kirchengeschichtlich relevanten Einblick in den teilweise dra-
matischen Verlauf der Ereignisse und deren Interpretation durch die Geistlichen. In
dieser Hinsicht ermöglicht das dargestellte Material die Erweiterung des bisherigen
Wissensstandes um eine Facette, die für den Untersuchungszeitraum bislang unter-
belichtet war. Zum anderen vermitteln die Berichte der Kärntner Kleriker vor allem
Stimmungslagen und atmosphärische Eindrücke, die vor dem Hintergrund der im
ersten Hauptteil geschilderten sozio- und psychogenetischen Entwicklungsprozesse
nachvollziehbar werden und als Ausdruck dessen gesehen werden können, was in
dieser Arbeit als »Kärntner Seele« im Sinne eines regionalen Habitus verstanden
wird. Beide Aspekte sollen nun zunächst in diesem Zwischenresümee reflektiert wer-
den, um anschließend, in Überleitung zum dritten Hauptteil, einige Überlegungen
zur Verwurzelung des letztgenannten Aspekts im kulturellen Gedächtnis Kärntens
anzustellen.
3.1 Zum zeitgeschichtlichen Ertrag des analysierten Archivmaterials
So stellt sich also zunächst eine faktengeschichtlich orientierte Zusammenfassung
der Kirchenaustrittsbewegung im Kärnten des »Christlichen Ständestaats« wie folgt
dar : Nachdem infolge der politischen Grabenkämpfe unter Beteiligung von Ver-
tretern des politischen Katholizismus im Österreich der 1920er Jahre die Kirchen-
austritte seit dem Ende des Ersten Weltkrieges stark zugenommen hatten, konnte
sich zu Beginn der 1930er Jahre die Situation einigermaßen beruhigen. Mit der
Selbstausschaltung des Parlaments im März 1933 und der Machtergreifung Engel-
bert Dollfuß’, der unter Berufung auf die katholische Soziallehre einen »christlichen
Ständestaat« mit einer starken katholischen Kirche als Stütze etablieren wollte, er-
reichte die Kirchenaustrittswelle in Kärnten einen neuen Höhepunkt. Der Gehei-
merlass des fürstbischöflichen Ordinariates vom 10. Juli 1933, der den hier ausge-
werteten Berichten zugrunde liegt, kann als Reaktion auf diese Entwicklung gesehen
werden. Mit scharfem Ton wird darin den Pfarrern politische Agitation strengstens
verboten und regelmäßige Berichtspflicht zur Kirchenaustrittsbewegung eingeführt.
Während zunächst vonseiten der Pfarrer noch beschwichtigt wurde, dass man
selbst sich politisch nicht exponiere und die Lage in der eigenen Pfarre, teilweise
trotz eifriger Gegenpropaganda, unter Kontrolle habe, spitzte sich die Situation
mit der Verlesung des Weihnachtshirtenbriefes des österreichischen Episkopats und
der darauf reagierenden Silvesterpredigt von Bischof Hefter zu Jahresende 1933 zu.
Ausschreitungen mit antiklerikalen Tumulten, Schmieraktionen und Massenaustritte
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353