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67Missionierung
und Christianisierung
hinaus ziehen. Darin wird bspw. die Schmähung der Kirche durch die Laien auf das
unbotmäßige Verhalten der Geistlichen bei Gastmählern zurückgeführt. Die Ideale
von Enthaltsamkeit und Keuschheit dürften den Klerikern gewisse Probleme berei-
tet haben, ebenso die unrechtmäßige Inbesitznahme von Kirchengütern. Während
sexuelle Verfehlungen und persönliche Bereicherung auch heute noch gut bekannte
Konfliktfelder zwischen Klerus und Bevölkerung sind, waren Delikte gegen Leib
und Leben den wesentlich stärker affektbetonten Verhaltensstandards des Mittel-
alters geschuldet : So wird auf dieser Synode geklärt, dass »all jene, welche einen
Geistlichen gefangengenommen, geschlagen oder sonst gewaltsam Hand an ihn an-
gelegt hatten, als exkommuniziert verkündet werden« und all jene, die »eine kirch-
liche Person schwer verwundet, verstümmelt, getötet oder gefangengenommen«
haben, nur vom apostolischen Stuhl absolviert werden können und außerdem von
sämtlichen kirchlichen Gütern enteignet würden.47
Im Kontext der sozialgeschichtlichen Umwälzungen dieser Zeit muss auch das
Auftreten der Bettelorden gesehen werden, die als religiöse Virtuosenbewegungen
nicht nur gegen die Verhaltensstandards der einfachen Bevölkerung und des »nie-
deren« Klerus, sondern auch gegen die Machtposition der mittelalterlichen Kirche
opponierten. In Kärnten sollte diese Position durch die Habsburger neue Impulse
erhalten.
1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter
Durch die starke Stellung des heimischen Adels wurde in Kärnten der Wandel vom
Personenverbands- zum Territorialstaatsprinzip verlangsamt.48 Erst gegen Ende des
13. Jahrhunderts begann der Landesfürst, Lehen an den Adel einzuziehen bzw. nach
Aussterben eines Geschlechts nicht mehr zu vergeben und sie stattdessen neuen, im
Aufstieg begriffene sozialen Schichten wie bürgerliche Unternehmergruppen oder
Ministerialen als Amt, Pfand oder Pflegschaft zu übertragen.49
An der Wende dieser »Verschiebung des Schwergewichts innerhalb der Feudal-
gesellschaft zugunsten der relativ wenigen großen, zuungunsten der vielen kleineren
Herren«50 standen die Habsburger. Sie hatten ab 1335 die Herzogswürde inne, nutz-
47 Tropper, P. G.: Missionsgebiet (1996), 41 f.
48 Selbst bei der Einsetzung eines Landeshauptmannes, wie sie Ottokar Přzemysl (1269–1275/76) erst-
mals vornahm, wurde der Rückgriff auf Vertrauensleute Ottokars durch den lokalen Adel verhindert.
Fräss-Ehrfeld, C.: Das Mittelalter (1984), 328–330.
49 Ebd., 361 und 423 f. Vgl. auch zu diesem allgemeinen soziologischen Mechanismus, demzufolge der
Landesfürst die zweitstärkste rivalisierende soziale Gruppe, wie Bürgertum und niederer Adel, fördert,
um die stärkste rivalisierende Gruppe, den hohen Adel, zu schwächen bzw. ein Machtgleichgewicht
herzustellen, Elias, N.: Prozeß der Zivilisation II (1997), 244–259.
50 Elias, N.: Prozeß der Zivilisation II (1997), 122 f.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353