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Zusammenfassung und Ausblick
Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten
1 Rückblick
Der Soziologe Christian Dorner-Hörig hat in seiner Dissertation Angst und Miss-
trauen als wesentliche Elemente der Habitusgenese in Kärnten beschrieben. »Der
große Unterschied zwischen dieser Angst und diesem Misstrauen der Kärntnerinnen
und Kärntner im Vergleich zu Restösterreich besteht allerdings darin, dass das rest-
liche Österreich Angst vor der Strafe von oben, von Seiten der Autorität hat, die im
Einklang mit kirchlicher und staatlicher Macht ihre Mechanismen der Scham und
Schande zur Etablierung von Loyalität und Anpassung erzwingt. Das Misstrauen der
Kärntnerinnen und Kärntner besteht hingegen aus einer anderen Angst und einem
anderen Grund zur Scham. […] Kärnten hat […] weniger Angst vor der Autorität
von Staat und Kirche als vielmehr vor der Macht anderer Gruppen, vor dem ›Sie‹,
welches dem ›Wir‹ entgegensteht und vor der inneren, disziplinierenden Kontrolle
seiner eigenen Wir-Gruppe selbst, die ihrerseits bemüht ist, Loyalität und Geschlos-
senheit zu erzwingen. Im Unterschied zu den habituell wirksamen Prozessen der
Gegenreformation im Rest Österreichs ist in Kärnten deren Macht an der ›dauern-
den Bedrohung‹ durch sie ablesbar anstatt an der ›dauernden Disziplinierung‹. In
Kärnten ist es nicht primär die Angst, die man vor dem Oben hat, sondern man hat
sie vor dem ›Innen‹ : vor mangelnder Loyalität, vor Verrat, vor Falschheit.«1
Folgt man dieser Analyse, ist der Aspekt des »Misstrauens« eine wesentliche Fa-
cette der »Kärntner Seele« bzw. des Kärntner Habitus. Im Einleitungskapitel konnte
anhand empirischer Daten gezeigt werden, dass das Misstrauen gegenüber der ka-
tholischen Kirche als Institution in Kärnten tendenziell stärker ausgeprägt ist als in
anderen Bundesländern, was sich in weiterer Folge auch in der geringeren Kirch-
gangshäufigkeit zeigt. Um diesen Sachverhalt zu erklären, wurden im ersten Haupt-
teil historisch-soziologische Entwicklungslinien der Habitusgenese des Landes und
ihre Bedeutung für die Wahrnehmung der Kirche in Kärnten skizziert.
Ob sich bereits in der Zeit der Missionierung der karantanischen Slawen die Er-
fahrungen einer gewaltsamen Bekehrung »von außen« im kollektiven Gedächtnis
niedergeschlagen haben, ist empirisch freilich nicht zu beweisen. Geht man jedoch
von langfristigen Entwicklungen in der Habitusgenese aus, sollte man diesen As-
pekt zumindest in Betracht ziehen. Das gilt in ähnlicher Weise für die Phase der
kirchlichen Durchdringung des Landes im Hochmittelalter, in der die Vielzahl an
1 Dorner-Hörig, C.: Habitus und Politik (2014), 183.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353