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Kirche und Habitus im kulturellen
Gedächtnis314
Der Großvater (besinnt sich, dann mit tonloser Stimme). ›Was wartest no ? … Warum lafst
nit und zagst mi an ? … Hast die Hamat verratn, werst es bei mir wohl no viel leichter tuan.
[…] Untreu bist wurn, die Hamat hast verratn. Verkaft hast di. Dönen dianst, die das Land
auf’n Hund gebracht habn. Der anzige Mann in der Gmeinde ; a traurige Ehr. Die Kinder
wern mit die Finger auf di zagn.‹ (Er spuckt aus.) ›Pfui Teufel !‹ (Er wendet sich von ihm
ab.) […] ›Schaug das Land an, Gmeindedianer. Auf’n Bodn liegt’s, a Mösser hat’s am Hals
und an Fuß auf der Brust. Aber mach die Augn und die Ohrn auf. Los zua, was es hamlich
rödt.‹ (Mit einer verheißungsvollen Hoffnung.) ›Wart bis sei große Stund schlagt.‹368
In Heimsuchung wird also im Kontext des Kärntner Abwehrkampfes das Land (wie
so oft bei Perkonig) zum religiös überhöhten Heiligtum und sogar zum göttlichen
Ansprechpartner. Noch ist es wie Christus am Kreuz in Bedrängnis, und doch un-
mittelbar vor der Erlösung. Die wahren Gläubigen in diesem Heiligtum sind nicht
die Eliten der Kirche, sondern die heimattreuen Kärntner und Kärntnerinnen, die
sich – wieder einmal – den ungerechten Obrigkeiten widersetzen und für Gerech-
tigkeit eintreten. Die Kleriker sind nicht grundsätzlich aus dieser »Gemeinschaft der
Gläubigen« ausgeschlossen, sondern nur jene, die die Kärntner und Kärntnerinnen
»verbiegen« wollen und ihre Machtposition für ihre doppelmoralischen Interessen
ausnutzen. Aber ein »echter Kärntner« lässt sich eben nicht »verbiegen«, wenn man
diesem Stück Glauben schenkt.
2.6.3 Perkonigs Wirken im »Christlichen Ständestaat«
Perkonigs Öffentlichkeitsarbeit als Kulturreferent im Kärntner Heimatdienst, als
Chefredakteur der Zeitung Kärntner Landsmannschaft und schließlich als Obmann
des Kärntner Heimatbundes369 machten den ausgebildeten Lehrer370 zu einer Schlüs-
selfigur des kulturellen Gedächtnisses Kärntens in der Zwischenkriegszeit. Sein Le-
ben und Wirken ab den 1920er Jahren stand ganz im Zeichen einer Etablierung
des »Mythos vom Kärntner Abwehrkampf« als heldenhaftes Aufbäumen einfacher
Kärntner Patrioten und Patriotinnen an der Südgrenze des deutschen Raumes. Die
Karawanken, jene »gewaltigen, geisterbleichen Kalkberge«, erhielten bei ihm eine
mythische Qualität des gottgegebenen Schutzwalls gegen Scharen von Fremdvöl-
kern, wie er andernorts schreibt.
368 Ebd., 46.
369 Nussbaumer, E.: Josef Friedrich Perkonig (1965), 39–47.
370 Perkonig führte seinen Lehrberuf erst 1922 weiter und übte diesen mit Unterbrechungen bis zu
seiner Pensionierung 1951 aus. Ebd., 33–37.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353