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Einleitung18
In den letztgenannten Bereich gehört auch Österreich, wo im Zeitalter der Gegen-
reformation und des konfessionellen Absolutismus die katholische Kirche mitunter
als Agent der habsburgischen Zentralmacht aufgetreten ist.19 Doch selbst innerhalb
des verhältnismäßig kleinen gegenwärtigen österreichischen Staatsgebietes können
diesbezüglich wiederum regionale Unterschiede beobachtet werden, die nicht allein
dem üblichen Stadt-Land-Gefälle zuzuordnen sind. Sieht man diesbezüglich von
Wien ab, sticht in der empirischen Datenlage vor allem die tendenziell schwächer
ausgeprägte gesellschaftliche Stellung der katholischen Kirche in Kärnten ins Auge.
2.1 Empirische Befunde zur Wahrnehmung der Kirche in Kärnten
Konsultiert man einschlägige empirische Untersuchungen, zeigt sich zunächst, dass
die Bevölkerung Kärntens eine relativ geringe Kirchenbindung aufweist. Das lässt
sich anhand mehrerer Aspekte zeigen. Zunächst soll in Anbetracht der mittlerweile
banalen religionssoziologischen Einsicht, dass sich Kirchenbindung und individu-
elle religiöse Praxis in den letzten Jahrzehnten stark auseinanderentwickelt haben,20
ein Blick auf die unmittelbaren Anfänge der Zweiten Republik geworfen werden.
Für diese Zeit spricht man gewöhnlich von einem Wiedererstarken des katholischen
Milieus im deutschsprachigen Raum, wo viele vom Faschismus enttäuschte und von
den Zerstörungen des Krieges heimgesuchte Menschen neuerlich Halt und Ori-
entierung in der Kirche suchten. Bereits hier zeigt sich, dass der stärkste Indikator
für Kirchenbindung, der sonntägliche Kirchgang, in der Diözese Gurk unterdurch-
schnittlich ausgeprägt ist. Die Graphik in Abb. 1 ist eine Zusammenstellung der
Kirchenbesuchszahlen der Jahre 1945 bis 1975, die der Pastoraltheologe Paul M.
Zulehner im Anhang seines Buches Wie kommen wir aus der Krise? (1978) veröffent-
licht hat.21
Abgesehen davon, dass die Zahl der Gottesdienstbesuche nach einem kurzen An-
stieg in den unmittelbaren Nachkriegsjahren zunächst in ganz Österreich langsam,
in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre dann deutlich abfällt – ein Trend, der sich in
den darauf folgenden Jahren bis in die Gegenwart hinein weiterverfolgen lässt22 –,
setzt sich auch die bundesländerspezifische Tendenz bis in die Gegenwart fort.
19 Vgl. Heer, F.: Der Kampf (1981) ; Weinzierl, M.: Kein First Amendment (1997) ; Kuzmics, H./Axt-
mann, R.: Autorität (2000).
20 Vgl. z. B. Hervieu-Léger, D.: Pilger und Konvertiten (2004).
21 Zulehner, P. M.: Krise (1978), 108 f.
22 Zulehner, P. M. u. a.: Untertan (1991), 115.
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Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353