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49Theoretische
Vorüberlegungen
Zugleich aber stellt die Zwischenkriegszeit unter dem Eindruck von Abwehr-
kampf und Volksabstimmung geradezu ein Laboratorium für die Ausbildung des kul-
turellen Gedächtnisses des Landes dar. Bedeutende Kunst- und Literaturschaffende
wie Switbert Lobisser, Josef Friedrich Perkonig oder Dolores Viesèr haben in dieser
Epoche nicht nur das Landesbewusstsein mitgeprägt, sondern auch – teils bewusst,
teils unbewusst – ihre Haltung zu Staat und Kirche in ihr Wirken miteinfließen las-
sen. Wenn nun also die Annahme stimmt, dass die Zeit des »austrofaschistischen«
Ständestaates in Kärnten eine Schlüsselphase für das Verständnis der Beziehung von
Kirche und Bevölkerung ist, in der also der schleichende Prozess der Entfremdung
von Klerus und Volk einen bedeutsamen Schub erhalten hat, muss sich das auch im
kulturellen Gedächtnis, präsent in Kunst und Literatur jener Zeit, widerspiegeln.
Wie lässt es sich nun aber methodisch rechtfertigen, aus hochgradig subjektiven,
Fakt und Fiktion programmatisch vermischenden Erzeugnissen, wie es jene aus
Kunst und Literatur sind, wissenschaftlich verwertbare Informationen zu entneh-
men ?
3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur
Die Auswertung von Kunst und Literatur in historisch-soziologisch angelegten Un-
tersuchungen kann mehrere Funktionen annehmen. Zunächst gilt für Produktionen
des Kunstbetriebes dasselbe wie für andere Dokumente : Sie können als Quellen die-
nen. Ihrer Verwertung vorausgehen muss selbstverständlich eine adäquate Einord-
nung der Quelle : Die Kunst- bzw. literarische Gattung und der realistische Gehalt
des Werkes sind wesentliche Komponenten für die Verwertbarkeit des Werkes. In
jedem Werk spiegelt sich unweigerlich die Zeit seiner Entstehung wider. Als Teil des
kulturellen Gedächtnisses steht es nie nur für sich, sondern ist in einen Prozess ein-
zuordnen, der permanentem Wandel unterworfen ist. Selbstverständlich gilt es dies-
bezüglich, die Biographie des Künstlers oder der Künstlerin, dessen oder deren Stel-
lung im Kulturbetrieb, etwaige politische Verstrickungen und – im vorliegenden Fall
von besonderem Interesse – dessen oder deren Haltung zu Religion und Kirche zu
berücksichtigen.155 Bei literarischen Gattungen mit historischem Inhalt muss dabei
das Ineinanderfließen von Erzählzeit (hier verstanden als der historische Kontext, in
dem eine Erzählung niedergeschrieben wird) und erzählter Zeit (hier verstanden als
jener historische Zeitraum, von dem die Erzählung berichtet) berücksichtigt werden.
Darüber hinaus eignen sich Kunst und Literatur aber häufig sehr gut, um als Il-
lustration und Reflexion von historischen oder soziologischen Befunden zu dienen.
A. (Hg.) : Glaubwürdig bleiben (2011) und Hanisch-Wolfram, A. (Hg.) : Glaube. Gehorsam. Gewis-
sen (2013a) sowie den umfangreichen Sammelband Wadl, W. (Hg.) : Glaubwürdig bleiben (2011).
155 Kuzmics, H./Mozetic, G.: Literatur (2003), 301.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353