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DRITTER TEIL
Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis
1 Hinführung
In der Zeit von der Volksabstimmung 1920 bis zum »Anschluss« 1938 haben sich
die bestehenden Erinnerungstraditionen in Kärnten unter dem Eindruck der zeit-
geschichtlichen Ereignisse zum Teil derart verfestigt, dass sie bis zum heutigen Tag
einflussreich bleiben. Die vierte Strophe des schon 1822 komponierten Kärntner
Heimatliedes etwa, die 1930 nach einem Wettbewerb als Ersatz für die obsolet ge-
wordene Bezugnahme auf das Kaiserhaus zur offiziellen Landeshymne hinzugefügt
wurde und die von Blut gezogene Grenze besingt, sorgt nach wie vor für politische
Aufregung.1 Nach wie vor werden Künstler aus jener Epoche wie Josef Friedrich
Perkonig oder Switbert Lobisser als Heimatkünstler hochgeschätzt und die Inhalte
ihrer Kunst als identitätsstiftend erlebt.2 Ihnen gegenüber stehen nahezu vergessene
Persönlichkeiten wie die Literatin Dolores Viesèr, die nach dem Zweiten Weltkrieg
nicht mehr an den Erfolg ihres historischen Romans Hemma von Gurk von 1938 an-
schließen konnte. Bezeichnenderweise gilt Viesèr als dezidiert katholische Autorin,
während Perkonig und Lobisser bekanntlich dem Nationalsozialismus nahestanden.
Ihr Verhältnis zur katholischen Kirche soll noch genauer in den Blick genommen
werden.
Im Folgenden sollen sieben zentrale Erinnerungstraditionen dieses Landes in ih-
rer Genese und ihrer Stellung zu Kirche und Staat untersucht werden. Sie spiegeln
zugleich einzelne Facetten der »Kärntner Seele« bzw. des Kärntner Habitus wider.
Eine erste Tradition wird jene um Fürstenstein und Herzogstuhl als Symbole des
Kärntner Landesbewusstseins sein, deren gedächtnispolitische Verankerung bis in
die Zeit der Missionierung Kärntens zurückreicht.
Eine zweite Tradition ist die von der katholischen Kirche explizit geförderte Er-
innerungstradition an die heilige Hemma von Gurk als »Kärntner Landesmutter«.
In diesem Kapitel wird vor allem der schon erwähnte Roman von Dolores Viesèr im
zeitgeschichtlichen Kontext des »Anschlusses« genauer analysiert werden.
Die dritte Erinnerungstradition ist jene von den osmanischen Streifzügen im
Spätmittelalter, die verkürzt als »Türkenzeit« bezeichnet werden. Sie steht im We-
1 Dorner-Hörig, C.: Habitus und Politik (2014), 58 ; Müller, W.: Haiders Schatten (2017).
2 Vgl. dazu die kritische Auseinandersetzung mit diesem Umstand bei Schmidauer, G.: Lobisser. Verges-
sen (2016).
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353