Seite - 319 - in Die Kirche und die »Kärntner Seele« - Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
Bild der Seite - 319 -
Text der Seite - 319 -
319Sieben
Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens
Dieses Bild Lobissers hält sich bis in die Gegenwart, wenngleich sich auch kritische
Stimmen darunter mischen, die darin den »in Kärnten heiliggesprochene[n] Ungeist
der Lobisserei, der diesem Lande schwersten psychischen Schaden zufügt«392, sehen.
Wie nun weiter gezeigt werden soll, lässt sich bei kaum einem Kärntner Künstler das,
was in diesem Buch mit der »Kärntner Seele« bzw. dem Kärntner Habitus gemeint
ist, besser nachzeichnen als bei Lobisser und seiner Kunst. Und bei kaum einer geist-
lichen Karriere lässt sich besser nachvollziehen, wie sehr die Haltung zur Kirche von
diesem Habitus in Kärnten geprägt ist und umgekehrt.
Um dies zu verdeutlichen, wird zunächst die bäuerlich geprägte Lebenswelt aus
Lobissers Kindheit beleuchtet. Dann soll anhand von Lobissers Klostereintritt die
Haltung des Künstlers zur katholischen Kirche in den Blick genommen werden.
Über die Schilderung des künstlerischen Werdegangs sowie einer tragischen Liebes-
beziehung Lobissers wird schließlich die Frage aufgeworfen, welche Umstände für
Lobisser den Nationalsozialismus so attraktiv gemacht haben. Ein kurzes Resümee
soll dieses Teilkapitel zusammenfassen.
2.7.1 Bäuerliches Herkunftsmilieu und Sozialisation
Switbert Lobisser hieß eigentlich Leo – benannt nach dem damaligen Papst
Leo XIII. – und wurde 1878 in der kleinen Ortschaft Tiffen nahe Feldkirchen gebo-
ren. Seine Vorfahren sind vermutlich aus der Gotschee nach Kärnten eingewandert.
Sein Vater war Volksschullehrer an verschiedenen Schulen der Gegend, unter ande-
rem in Eisentratten, Lengholz, Pisweg und Kleinkirchheim. Er starb an Kopftyphus,
als Leo acht Jahre alt war. Lobisser erwähnt in seiner Autobiographie eine Halb-
schwester Cilli, die einer vorehelichen Beziehung des Vaters entstammt und die er
nur von Erzählungen kannte. Die älteren Brüder Rudolf und Emil spielen in seinen
Memoiren kaum eine Rolle. An seine Kindheit erinnert er sich positiv, wenngleich
sie arbeitsam und schlicht war.393
Lobissers Mutter war eine Gurnitzer Bauerntochter, eine kleine Landwirtschaft
dürfte bescheidene Lebensverhältnisse ermöglicht haben. Gerade diese Lebens-
verhältnisse aber prägten Lobisser. So muss der Kärntner Habitus bei Lobisser zu-
nächst einmal als bäuerlicher Habitus verstanden werden : Lobissers Idealisierung
des ländlichen Milieus zieht sich durch seine gesamte Kunst. Nicht nur Bauern und
ihre Familien, sondern auch Jäger und Förster, Mägde und Knechte, Handwerker
und Vagabunden, allen voran aber immer wieder die »Bergmutter« sind die Prot-
agonisten und Protagonistinnen seiner Bildwelten. Lobissers Bild der boden- und
widerständigen Bauern- und Landleute stammt aus dem mentalitätsgeschichtlich ge-
392 Steiner, B. K.: Zur Eröffnung (2000).
393 Lobisser, S.: Das Lobisserbuch (1941), 33–46.
Die Kirche und die »Kärntner Seele«
Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Titel
- Die Kirche und die »Kärntner Seele«
- Untertitel
- Habitus, kulturelles Gedächtnis und katholische Kirche in Kärnten, insbesondere vor 1938
- Autor
- Johannes Thonhauser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23291-9
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 402
- Schlagwörter
- Kärnten, katholische Kirche, kulturelles Gedächtnis, Habitus, Christlicher Ständestaat, nationalsozialistische Bewegung, Switbert Lobisser, Dolores Viesèr, Emilie Zenneck, Hans Sittenberger
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Danksagung 11
- Die katholische Kirche und der Sonderfall Kärnten 13
- 1 Vorbemerkungen 13
- 2 Hinführung 17
- 3 Theoretische Vorüberlegungen 30
- 3.1 Soziologische Grundannahmen 31
- 3.2 Kulturelles und kollektives Gedächtnis 39
- 3.3 Zum methodischen Umgang mit Kunst und Literatur 49
- 1 Missionierung und Christianisierung 59
- 1.1 Zur Missionierung und Christianisierung in Kärnten 60
- 1.2 Politische und kirchliche Entwicklungslinien Kärntens im Hochmittelalter 63
- 1.3 Die Kirche und die territoriale Integration Kärntens im Spätmittelalter 67
- 1.4 Religiöses Leben und kirchliche Struktur im spätmittelalterlichen Kärnten 69
- 2 Das Konfessionelle Zeitalter 73
- 3 Das Nationale Zeitalter 103
- Kirche und Habitus im »Christlichen Ständestaat« 129
- 1 Hinführung 129
- 2 Die Kirchenaustrittsbewegung in Kärnten 1933 bis 1938 151
- 2.1 Hinführung 151
- 2.1.1 Der Geheimerlass vom 10. Juli 1933 155
- 2.1.2 Zur politischen Parteinahme der Seelsorger in den Kärntner Pfarren 157
- 2.2 Zur allgemeinen Entwicklung der Kirchenaustrittsbewegung 1933 bis 1938 162
- 2.2.1 Vom Geheimerlass zu den Silvestertumulten 1933/34: die Ruhe vor dem Sturm 163
- 2.2.2 Von den Silvestertumulten 1933/34 bis zum Juliputsch 1934: der Exodus aus der Kirche 165
- 2.2.3 Vom Putsch 1934 zum Urgenzschreiben 1936: Es brodelt unter der Oberfläche weiter 177
- 2.2.4 Vom Urgenzschreiben 1936 bis zum »Anschluss« 1938: Vorbereitungen zum Massenaustritt 179
- 2.3 Kirchenaustritt aus politischer Opposition zum Ständestaat 181
- 2.4 Zur Rolle der Pfarrers und der katholischen Kirche als Institution 187
- 2.5 Zur Rolle der evangelischen Kirche 197
- 2.6 Die Nazi-Bewegung aus dem Blickwinkel katholischer Geistlicher 204
- 2.7 Wiederverheiratungswillige und Alternativreligiöse 212
- 2.1 Hinführung 151
- 3 Zwischenresümee 216
- Kirche und Habitus im kulturellen Gedächtnis 223
- 1 Hinführung 223
- 2 Sieben Erinnerungstraditionen im kulturellen Gedächtnis Kärntens 225
- 2.1 Die Missionierung Kärntens im kulturellen Gedächtnis 225
- 2.2 Hemma von Gurk als Schlüsselfigur kirchlicher (Gedächtnis-) Geschichte in Kärnten 233
- 2.2.1 Zur Heiligsprechung einer »deutschen Heiligen« 235
- 2.2.2 Dolores Viesèrs Hemma von Gurk (1938): eine christliche »Gegengeschichte« in »unchristlichen« Zeiten 239
- 2.2.2.1 Die Kärntner Landesmutter und ihre Untertanen 243
- 2.2.2.2 Die Kärntner als die »besseren Deutschen« 246
- 2.2.2.3 Das Zusammenspiel von Natur und Mensch 247
- 2.2.2.4 Zur Rolle von Klerus und Kirche 249
- 2.2.2.5 Von Knappen und Putschisten 252
- 2.2.2.6 Wider die Kritiker der Heiligsprechung 255
- 2.2.2.7 Zur Rezeption von Dolores Viesèr und ihres Romans Hemma von Gurk 257
- 2.3 Die »Türkenkriege« im kulturellen Gedächtnis Kärntens 260
- 2.4 Gegenreformation und Geheimprotestantismus im kulturellen Gedächtnis 270
- 2.5 Die Franzosenzeit im kulturellen Gedächtnis Kärntens 282
- 2.6 Klerus und Abwehrkampf im kulturellen Gedächtnis Kärntens amBeispiel von Josef F. Perkonigs Tragödie Heimsuchung (1920) 302
- 2.7 Ständestaat und Nationalsozialismus im kulturellen GedächtnisKärntens am Beispiel von Switbert Lobisser 318
- 3 Sieben Dimensionen des Kärntner Habitus 336
- Zusammenfassung und Ausblick Kirche, Habitus und kulturelles Gedächtnis in Kärnten 344
- 1 Rückblick 344
- 2 Ausblick 348
- 3 Zusammenfassung 350
- Anhang 353
- 1 Abkürzungsverzeichnis 353